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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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sein?
    – Herrgott noch mal , sagte ich zu Ihm am Ausgabefenster bei Pizza Hut. – Das ist doch bloß eine lächerliche Pepperoniwurst. Wegen dieser Scheißpepperoni willst Du mich »in dieser Welt verabscheuen und in der nächsten foltern«? Deshalb kann Dich auch niemand leiden.
    Ich schaute finster zu Ihm hinauf, wenn mir die Petersilie verhagelt war. Ich verfluchte Ihn, wenn die Kacke am Dampfen war. Wir führten ausgedehnte philosophische Debatten, die oft mit der Sünde zu tun hatten, die ich gerade beging.
    – Ich weiß, es ist Diebstahl, aber hör mal, die vermissen das doch gar nicht. Nein, ich finde nicht, dass das eine billige Rationalisierung ist, ich finde, es ist eine Realität des Einzelhandels. Das ist Macy ’ s, verdammt – das größte Kaufhaus der Welt, das steht so auf der Tür. Was soll ich denn Deiner Meinung nach tun? Meine Mutter um Geld bitten? Du kennst doch meine Mutter, Du weißt doch, was es bei ihr auslöst, wenn ich sie um Geld bitte. Klingt das für Dich billig? Wir reden hier über echte menschliche Schmerzen. Du willst, dass ich sie um Geld bitte? Na schön. Ich verlasse jetzt gleich diesen Laden, und mein Rucksack ist voller Klamotten. Wenn Du möchtest, dass ich sie darum bitte, dann lass einfach den Alarm losgehen, dann bitte ich sie das nächste Mal. Na los. Wollen wir doch mal sehen. Ich gehe jetzt.
    Der Alarm ging nie los.
    – Siehst Du , sagte ich zu Gott. – Arschloch .
    Mit sechzehn war ich am Boden, emotional, kriminell und gastronomisch. Die Schuld war überwältigend. An der Schule war ich beliebt, doch meine Beliebtheit war ein Turm, der auf dem Treibsand von tausend Leerkalorien-Lügen gebaut war. Mit meinem neuen Führerschein und dem alten Auto meiner Schwester klapperte ich nachts die Fastfoodläden ab, auf der Suche nach Trost in sinnlosen Parkplatzorgien mit lieblosen Leerkalorien. McDonald’s, Burger King, White Castle – rein ins Drive-in und dann in eine dunkle Ecke des Parkplatzes, außerhalb des Scheins der Leuchtreklamen und abseits der Straßenlampen, und da saß ich, allein, Nacht für Nacht, und befleckte mich mit zwei Frikadellen, Spezialsauce, Salat, Käse, Pickles, Zwiebeln und einem Sesambrötchen. (Ich wusste nicht, was in der Spezialsauce war, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie keine gespaltenen Hufe enthielt. Salat, Pickles und Zwiebeln sind koscher, aber man muss sie einweichen, um sicherzugehen, dass kein Ungeziefer drin ist. Ungeziefer ist verboten.)
    Ich sagte es Deena. Jemandem musste ich es sagen.
    – Aber nur manchmal, sagte ich. – Es ist ja nicht so, dass ich nichts Koscheres esse.
    Ich hatte Deena seit der fünften Klasse geliebt. Ich dachte, mein Geständnis würde meine Schuld mindern und mich gleichzeitig düster, verstört und sexy machen, wie im Fernsehen. Nichts davon trat ein. Deena und ich würden nie mehr als Freunde sein, doch nachdem ich mich ihr offenbart hatte, hörte selbst das auf. Vielleicht war es einfach das Leben, das weiterging; wir waren jetzt sechzehn und gingen auf die Jeschiwe-Highschool – die Telefonate waren weniger geworden, und sie hatte neue Freundschaften geschlossen, und wenn wir einander über den Weg liefen, wirkte sie beklommen.
    Von dem Schwein hatte sie schon gehört.
    – Als wärst du verrückt geworden, sagte sie, und ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. – Alle reden davon. Also, warum isst du denn Speck ?
    Ich aß gar keinen Speck – ich war ja nicht verrückt –, aber ihre Worte trieften vor Ekel, und statt Scham empfand ich nun endlich Wut.
    – Warum? , fragte ich. – Warum ich Speck esse?
    – Warum isst du nichtkoscher?
    – Warum isst du koscher?
    – Weil Gott es gesagt hat.
    – Deshalb esse ich nichtkoscher.
    Deena verschlug es die Sprache.
    Deswegen eigentlich nicht. Aber vielleicht doch. Warum brauchte ich einen Grund? Warum musste ich anders sein? Konnte ich denn wirklich nichtkoscher essen, nur um Gott auf die Palme zu bringen?
    Meiner Schwester zufolge nicht.
    – Das machst du nur, um Mom zu verletzen, sagte sie.
    Ein Freund eines Freundes einer Nachbarin einer Freundin von ihr hatte mich aus einem Pizza Hut kommen sehen.
    – Das stimmt nicht, sagte ich. – Ich mache es auch, um Dad zu verletzen.
    Meiner Schwester verschlug es die Sprache.
    Deswegen eigentlich nicht. Aber vielleicht doch. Warum konnten sie mich nicht so nehmen, wie ich war? Warum musste meine Vorliebe für etwas bedeuten, dass ich jemand anders hasste? War es nicht möglich, dass ich

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