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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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Park und ins Metropolitan Museum of Art. Ich ging durch den Skulpturengarten, sah mir Zeichnungen und Drucke an, schaute in den amerikanischen Flügel rein, setzte meine Kipa auf, zog meine Zizijot heraus, ging in den Souvenirladen und stahl ein paar Bücher. Der Haupteingang zum Souvenirladen ist im Erdgeschoss, gleich bei der Great Hall (Bücher, Poster und Postkarten), aber es gibt noch einen weiteren, kleineren Eingang oben, im ersten Stock weiter hinten (Schmuck, Geschenke, Accessoires). Bei meinem allerersten Diebeszug nahm ich ein Buch über Rodin und eins über Magritte mit, eine Zeitschrift namens ArtNews und ein Päckchen Spielkarten mit Meisterwerken des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich ging nach oben, lächelte den Verkäufer an, der gerade eine Schwarze am Schmucktresen im Blick hatte, und schlenderte zu den europäischen Gemälden hinaus.
    Kipa. Geh nie ohne eine aus dem Haus.
    Ich mochte die Kunst, selbst wenn ich, wie beim Rap, nicht genau wusste, was das alles zu bedeuten hatte. Sie wirkte so herrlich maßlos, so wunderbar wertlos, Kommende-Welt-mäßig.
    Auf einem dieser Ausflüge in die Stadt, ich hatte den Unterricht geschwänzt und war mit der U-Bahn zum Times Square gefahren, um die Pornoläden zu besuchen, begegnete ich José.
    – Lächeln, rief er mir zu, als ich trübsinnig von Andrew Blake zu Fiddler on the Roof schlappte. – So schlimm kann es doch nicht sein.
    Ich war ein paar Straßen vom Jeschiwe-Campus entfernt. Ich hatte mir gerade wieder meine Kipa aufgesetzt, und José, ein fröhlicher, massiger Hispanier mittleren Alters, saß mit ein paar Freunden auf der Treppe zu einem baufälligen alten Brownstone.
    – Schlimmer, sagte ich.
    Alle lachten.
    – Ich hab schon so einige Rabbis gesehen, sagte sein Freund. – Voll abgefahren, die Leute.
    – Was weißt du schon, sagte ich.
    – Komm her, sagte José. Er gab mir ein Päckchen mit Gras und meinte, das gehe aufs Haus. – Ich bin José.
    Ich nickte und ging weiter.
    – He, Kleiner, rief er mir nach.
    Ich blieb stehen und drehte mich um. José lächelte, langte in die Hosentasche und warf mir ein Gratispäckchen Zigarettenpapier zu.
    – Wow!, sagte ich. – Danke, Mean Joe!
    Alle lachten.
    Danach machten wir es jedes Mal; die ganze Transaktion – mein Gang, der Tausch, das Papierchen/Mean-Joe-Greene-Ding – dauerte keine fünf Minuten. Ich konnte nach Talmud weg und war rechtzeitig zu Propheten wieder zurück.
    Ich verbrachte den größten Teil meiner Zeit in Midtown. Ich ging ins Met, verliebte mich in de Chirico und stahl Bücher über Helldunkel und den Gebrauch von Farben. Ich ging ins MoMA , verliebte mich in Brancusi und klaute Bücher über Form und Sinn. Ich ging ins Guggenheim, verliebte mich in Giacometti und sackte Bücher über die Darstellung und den Menschen ein.
    Ich ging ins Whitney.
    Ich ging wieder ins Met.
    Ich ging in Buchhandlungen. Ich ging zu Strand, Rizzoli, Shakespeare & Co. Ich stahl Kafka und Beckett und Pinter und Mamet. Ich kapierte nicht immer, was sie sagten, aber auf jeden Fall mochte ich es, wie sie es sagten. An einem einzigen Nachmittag konnte ich von europäischen Gemälden im Met in der 81st, Ecke Fifth, zu den Surrealisten im MoMA in der 53rd, Ecke Fifth, zu den Neuerscheinungen in der Peepshow Triple Treat in der 42nd, Ecke Eighth, gelangen und trotzdem noch rechtzeitig für den Toraunterricht und den Bus nach Hause wieder uptown sein. Nur in den Pornoläden stahl ich nicht. Deren Besitzer ließen sich von einer Kipa nicht blenden; sie saßen auf Trittleitern, die überall in den Läden standen – am Ende der Gänge, neben der Kasse, am Eingang –, und sie beobachteten jeden, egal, was er auf dem Kopf trug. Sie verstanden, dass wir unter all den Kleidern und Hüten, unter der Mitra des Papstes und dem Schtreimel des Rabbis und der Imamah des Mullah, alle gleich waren.
    Und dann, eines Abends, hatte Gott genug. Ich kam von der Jeschiwe nach Hause, und in meinem Zimmer war meine Mutter, sie saß auf der Kante meines Betts. Sie war blass, blasser als sonst, und ihr Kinn hing herab, tiefer als sonst. Sie hielt ein Hamburgerpapier von McDonald’s hoch.
    – Weißt du, wo ich das gefunden habe?, sagte sie, die Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Mir wurde der Mund wässrig.
    – McDonald’s?
    – In deinem Auto, sagte sie. – Bist du…
    Sie brachte es kaum über sich, das Wort auszusprechen. Ein Mitglied der Kommunistischen Partei? Ein Nazi? Schwul?
    – Bist du … nichtkoscher ?
    Ich wollte

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