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Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
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fuhr – jetzt fühlte es sich so an, zu Hause –, schlief ich ein zum sanften Wiegenlied der Autobahn.
Dreiundvierzig Tage vorher
    »Bei Coosas Schnapsladen beruht das Geschäftsmodell darauf, Zigaretten an Minderjährige und Alkohol an Erwachsene zu verkaufen.« Alaska sah mir irritierend häufig in die Augen, während sie Auto fuhr, vor allem hier auf der schmalen, hügeligen Landstraße nach Süden, die zu Coosas Schnapsladen führte. Es war Samstag, der letzte echte Ferientag. »Und das ist gut so, solange wir nur Zigaretten brauchen. Aber heute brauchen wir Alkohol. Und bei Alkohol wollen sie einen Ausweis sehen. Und mein gefälschter Ausweis ist echt mies. Aber ich flirte mich einfach durch.« Plötzlich, ohne zu blinken, bog sie links ab auf eine steil abfallende Straße durch die Weizenfelder. Das Lenkrad hielt sie fest umklammert, während wir immer schneller wurden. Erst im allerletzten Moment, als wir den Fuß des Hügels erreichten, trat sie auf die Bremse. Vor einem aus Sperrholz zusammengezimmerten Tankstellenhäuschen, wo es längst kein Benzin mehr gab, kamen wir zum Stehen. Ans Dach war ein verblichenes Schild genagelt: COOSA LIQUORS. WIR KÜMMERN UNS UM IHR GEISTIGES WOHL.
    Alaska ging alleine hinein und kam fünf Minuten später wieder heraus, mit zwei schweren Papiertüten voll Schmuggelware: drei Stangen Zigaretten, fünf Flaschen Wein und eine Flasche Wodka für den Colonel. Auf dem Heimweg fragte Alaska: »Kennst du Teekesselchen?«
    »Teekesselchen?«, fragte ich zurück. »Meinst du wie: Mein Teekesselchen ist grün und klebt im Hals?«
    »Frosch«, rief Alaska.
    »Stimmt. Das war zu einfach.«
    »Nein, war es nicht«, sagte Alaska. »Ich fand’s genau richtig. Ich hab auch eins. Hör zu. Mein Teekesselchen ist gelb und steht auf der Wiese.«
    »Blume?«
    »Nein, warte. Mein Teekesselchen kann brüllen wie ein wildes Tier.«
    Ich sah sie ratlos an. Eine Minute später kam ich dahinter und lachte.
    »Hab ich immer mit meiner Mom gespielt, bis ich sechs war. Das ist immer noch mein Lieblingsteekesselchen.«
     
    So hätte ich nicht überraschter sein können, als sie am Nachmittag des gleichen Tages völlig aufgelöst in mein Zimmer stürzte. Während ich gerade letzte Verbesserungen an meinem Englisch-Aufsatz vornahm, warf sie sich auf die Couch und bekam vor lauter Schluchzen und Wimmern kaum noch Luft.
    »Es tu-hut mir so lei-heid«, heulte sie. Der Rotz lief ihr am Kinn herunter.
    »Was ist denn passiert?«, fragte ich. Sie nahm ein Taschentuch und wischte sich über das Gesicht.
    »Ich …«, fing sie an, doch dann kam wie ein Tsunami der nächste Schluchzer; ihr Heulen war so laut und kindlich, dass es mir Angst machte. Ich setzte mich zu ihr und legte den Arm um sie. Aber sie wandte sich ab, drückte das Gesicht in den Schaumstoff des Sofas. »Ich versteh nicht, warum ich immer alle Leute hängen lassen muss.«
    »Was, meinst du das mit Marya? Da hattest du eben einfach Angst.«
    »Angst ist keine Entschuldigung!«, wimmerte sie in die Sofalehne. »Angst ist die Ausrede, die alle immer vorschieben!« Ich wusste nicht, was und wen sie mit »alle« und »immer« meinte, und so gern ich ihre Mehrdeutigkeiten deuten können wollte, so anstrengend war es bisweilen auch.
    »Und warum ist es gerade jetzt so schlimm?«
    »Es ist nicht nur das. Es ist alles. Gestern Abend hab ich dem Colonel alles erzählt.« Sie schniefte noch, doch wenigstens schien sie mit dem Schluchzen durch zu sein. »Als du im Auto geschlafen hast. Und er hat gesagt, dass er mich bei zukünftigen Streichen nie wieder aus den Augen lässt. Dass er mir nicht mehr vertrauen kann. Und er hat recht. Ich vertraue mir selber nicht.«
    »Es war mutig, es ihm zu sagen«, sagte ich.
    »Ich bin mutig, nur nicht dann, wenn’s drauf ankommt. Kannst du – hm –« Sie setzte sich auf, und dann rutschte sie zu mir, und ich hob die Arme, und sie sackte zusammen und warf sich an meine schmächtige Brust und weinte. Sie tat mir so leid, aber andererseits war sie irgendwie auch selbst dran schuld. Es hatte sie schließlich niemand gezwungen, Marya zu verpfeifen.
    »Ich meine es nicht böse, aber vielleicht müsstest du einfach versuchen, uns zu erklären, warum du Marya verraten hast. Hattest du Angst vor zu Hause oder so was?«
    Sie rückte von mir weg und bedachte mich mit einem Blick der Verdammnis, der selbst den Adler in den Schatten stellte, und ich spürte, dass sie mich hasste oder die Frage hasste oder beides. Dann sah sie weg,

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