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Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
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Sie spielt uns einen Streich. Es ist nur einer ihrer bescheuerten Streiche. So ist sie eben, unsere Alaska, witzig, kindisch, weiß einfach nicht, wann sie aufhören muss.
    Und schon fühlte ich mich viel besser, weil sie gar nicht gestorben war.
    Ich ging zurück in die Turnhalle, wo sich alle in verschiedenen Stadien des Zusammenbruchs befanden. Es war wie im Fernsehen, wie ein Dokumentarfilm über Trauerrituale. Ich sah, wie Takumi hinter Lara stand, die Hände auf ihre Schultern gelegt. Ich sah Kevin mit seinem Kurzhaarschnitt, den Kopf zwischen den Knien begraben. Ein Mädchen namens Molly, die mit uns Mathe gelernt hatte, heulte laut und schlug sich mit den Fäusten auf die Oberschenkel. All diese Leute, die ich irgendwie kannte und irgendwie auch nicht, alle waren sie am Zusammenbrechen, und dann sah ich den Colonel, die Knie zum Kinn gezogen wie ein Embryo, er lag seitlich auf der Bank, und Madame O’Malley saß bei ihm, die Hand nach ihm ausgestreckt, doch sie berührte ihn nicht. Der Colonel schrie. Er holte Luft und schrie. Holte Luft. Schrie. Holte Luft. Schrie.
    Ich dachte erst, er brüllte einfach. Aber nach ein paar Atemzügen fiel mir ein Rhythmus auf, und noch einen Atemzug später begriff ich, was der Colonel schrie. Er schrie: »Es tut mir leid.«
    Madame O’Malley griff nach seiner Hand. »Dich trifft keine Schuld, Chip. Du hast nichts tun können.« Wenn sie nur wüsste.
    Und ich stand da, beobachtete die Szene vor mir, dachte, dass sie gar nicht tot war, und dann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und drehte mich um, und der Adler stand vor mir. »Ich glaube, es ist nur ein dummer Streich«, sagte ich, und er sagte: »Nein, Miles, nein. Es tut mir leid«, und ich fühlte, wie Hitze in meine Wangen stieg, und sagte: »Sie ist gut. Sie kriegt das hin. Sie würde so was tun«, und er sagte: »Ich habe sie gesehen. Es tut mir leid.«
    »Was ist passiert?«
    »Jemand hat im Wald Feuerwerkskörper gezündet«, sagte er, und ich schloss fest die Augen, im vollen Bewusstsein der unausweichlichen Tatsache: Ich hatte sie umgebracht. »Ich bin raus und habe nachgesehen, und ich schätze, in der Zwischenzeit ist sie in den Wagen gestiegen und weggefahren. Es war spät. Sie war auf der I-65, kurz vor Birmingham. Ein Lastwagen mit Anhänger war umgekippt und blockierte beide Spuren. Die Polizei war schon vor Ort. Sie fuhr, ohne zu bremsen, in den Streifenwagen hinein. Ich glaube, sie muss sehr betrunken gewesen sein. Die Polizisten sagten, sie hätten Alkohol gerochen.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte ich.
    »Ich habe sie gesehen, Miles. Ich habe mit der Polizei gesprochen. Sie war sofort tot. Das Lenkrad ist gegen ihren Brustkorb geprallt. Es tut mir so leid.«
    Und ich sagte, Sie haben sie gesehen, und er sagte, ja, und ich sagte, wie sah sie aus, und er sagte, nur ein bisschen Blut aus der Nase, und ich setzte mich in der Turnhalle auf den Boden. Ich konnte hören, dass der Colonel immer noch schrie, und ich konnte die Hände auf meinem Rücken spüren, als ich mich vorbeugte, doch ich sah nur sie, wie sie nackt auf einem Metalltisch lag, ein rotes Rinnsal aus ihrer halbtropfenförmigen Nase, die grünen Augen weit offen, in die Ferne starrend, der leichte Schwung ihres Mundes, der den Hauch eines Lächelns andeutete, sie, die sich so warm auf meiner Haut angefühlt hatte, ihr Mund so weich und warm auf meinem.
     
    Der Colonel und ich gehen schweigend zurück zu unserem Zimmer. Ich starre auf den Boden unter mir. Ich kann an nichts anderes denken, als dass sie tot ist, und daran, dass sie unmöglich tot sein kann. Menschen sterben nicht einfach. Ich kriege keine Luft. Ich habe Angst. Wie wenn dir jemand droht, dich nach der Schule zu verprügeln, und jetzt ist die letzte Stunde, und du weißt genau, was dich erwartet. Es ist so kalt heute – buchstäblich eisig, und ich stelle mir vor, wie ich zum Fluss runterrenne und kopfüber reinspringe, und es ist so flach, dass ich mir die Hände an den Steinen aufschürfe, und mein Körper taucht ins kalte Wasser, der Schock der Kälte, dann Taubheit, und dort würde ich bleiben, flussabwärts treiben, in den Cahaba River, dann in den Alabama River, dann in die Mobile Bay und hinaus in den Golf von Mexiko.
    Ich will mit dem braunen, verharschten Gras verschmelzen, über das der Colonel und ich nach Hause gehen. Seine Füße sind so groß, zu groß für seinen kleinen Körper, und die neuen No-Name-Tennisschuhe, die er trägt, seit jemand in seine

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