Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
Vom Netzwerk:
Schwein hat wirklich nicht mehr viel Luft bekommen.« Mit blutunterlaufenem Schlafzimmerblick sah er zu mir hoch und gähnte.
    »Du siehst ein bisschen verkatert aus«, bemerkte ich.
    Er schloss die Augen. »Dann bin ich ein guter Schauspieler, Pummel. Ich bin nämlich extrem verkatert.«
    »Ich hab Alaska geküsst.«
    »Ja. So betrunken war ich nicht. Lass uns gehen.«
    Wir liefen über die Wiese zur Turnhalle. Ich trug weite Jeans, ein Sweatshirt ohne Unterhemd, und meine Haare standen in alle Richtungen ab. Einige Lehrer gingen von Schlafsaal zu Schlafsaal und klopften an die Türen, nur von Dr. Hyde fehlte jede Spur. Ich stellte mir vor, wie er tot in seinem Bett lag, und fragte mich, wer ihn gefunden hatte und wie man überhaupt gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte, so früh vor der ersten Stunde.
    »Ich sehe Dr. Hyde nicht«, sagte ich zum Colonel.
    »Das arme Schwein.«
    Die Turnhalle war bereits halb voll, als wir ankamen. In der Mitte des Basketballfelds war ein Podium aufgebaut, genau vor der Zuschauertribüne. Ich setzte mich in die zweite Reihe, der Colonel setzte sich vor mich. Meine Gefühle schwankten zwischen Trauer um Dr. Hyde und Euphorie wegen Alaska, und ich hatte eine Nahaufnahme ihres Mundes im Kopf, wie sie flüsterte: »Machen wir morgen weiter?«
    Und ich hatte immer noch keine Ahnung – nicht einmal, als Dr. Hyde in die Turnhalle geschlurft kam, mühsam einen Fuß vor den anderen setzte, und auf den Colonel und mich zuging.
    Ich tippte dem Colonel auf die Schulter. »Hyde ist da«, und der Colonel sagte: »Oh, Scheiße«, und ich sagte: »Was?«, und er sagte: »Wo ist Alaska?«, und ich sagte: »Nein«, und er sagte: »Pummel, ist sie da oder nicht?«, und dann standen wir beide auf und suchten die Gesichter in der Turnhalle ab.
    Der Adler bestieg das Podium und fragte: »Sind alle da?«
    »Nein«, sagte ich. »Alaska ist noch nicht da.«
    Der Adler sah zu Boden. »Sind sonst alle da?«
    »Alaska ist nicht da!«
    »Ja, Miles. Danke.«
    »Wir können nicht ohne Alaska anfangen.«
    Der Adler sah mich an. Er weinte lautlos. Die Tränen liefen ihm aus den Augen, rannen zum Kinn und tropften auf seine Cordhose. Er blickte mich an, doch es war nicht der Blick der Verdammnis. Er blinzelte, und die Tränen liefen herunter, und vor aller Augen war dem Adler anzusehen, wie leid es ihm tat.
    »Bitte, Sir«, sagte ich. »Können wir bitte auf Alaska warten?« Ich spürte, wie uns alle anstarrten, und versuchte zu begreifen, was ich jetzt ahnte, aber noch nicht glauben wollte.
    Der Adler sah zu Boden und biss sich auf die Unterlippe. »Gestern Nacht hatte Alaska Young einen schrecklichen Autounfall.« Jetzt strömten seine Tränen rascher. »Sie ist ums Leben gekommen. Alaska ist nicht mehr bei uns.«
    Einen Moment lang war es vollkommen still in der Turnhalle, es war noch nie so ruhig an diesem Ort gewesen, nicht einmal kurz bevor der Colonel von der Linie aus die Gegner beschimpfte. Ich stierte auf den Hinterkopf des Colonels. Ich stierte und stierte in sein dichtes dunkles Haar. Es war so still, dass man das Geräusch des Nichtatmens hören konnte, das Vakuum von 190 Schülern, denen die Luft wegblieb.
    Ich dachte: Ich bin schuld.
    Ich dachte: Mir ist schlecht.
    Ich dachte: Ich muss kotzen.
     
    Ich stand auf und rannte hinaus. Ich schaffte es bis zur Mülltonne vor der Turnhalle, zwei Meter neben der Flügeltür, und würgte auf Gatorade-Flaschen und halb gegessenen McDonald’s-Tüten hinunter. Doch es kam nicht viel raus. Ich würgte mit weit aufgerissenem Mund, bis sich meine Bauchmuskeln verkrampften, und raus kam nur ein keuchendes, kehliges Rülpsen, doch ich würgte und würgte, immer weiter. Zwischen dem Husten und Würgen schnappte ich pfeifend nach Luft. Ihr Mund. Ihr toter, kalter Mund. Machen wir morgen weiter. Ich wusste, dass sie betrunken war. Völlig aufgelöst. Natürlich lässt man niemanden ans Steuer, der betrunken und aufgelöst ist. Natürlich . Um Gottes willen, Miles, was zum Teufel ist los mit dir? Und dann kam die Kotze endlich und ergoss sich über den Müll in der Tonne. Da gingen sie hin, die letzten Reste dessen, was ich noch von ihr im Mund hatte, in die Mülltonne hinein. Und es kam noch mehr, immer mehr – und dann: schon gut, beruhige dich, schon gut, mal im Ernst, sie ist nicht tot.
    Sie ist nicht tot. Sie ist quicklebendig. Sie ist lebendig, sie ist nur irgendwo. Sie ist im Wald. Alaska versteckt sich im Wald, und sie ist nicht tot, sie versteckt sich nur.

Weitere Kostenlose Bücher