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Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
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Abend noch gesehen?«, fragte sie in mein Schlüsselbein.
    »Sie hat getrunken«, sagte ich. »Der Colonel und ich sind eingeschlafen, und dann ist sie anscheinend weggefahren.« Und das wurde die Standardlüge.
    Ich spürte, wie Lara ihre tränennassen Finger in meine Hand drückte, und bevor ich mich besinnen konnte, zog ich die Hand weg. »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Schon gut«, sagte sie. »Ich bin in meinem Ziemmer, wenn du vorbeikommen wiellst.« Ich wollte nicht. Ich wusste nicht, was ich zu ihr sagen sollte – verheddert in einer Dreiecksbeziehung, in der eine Person tot war.
     
    Am Nachmittag kamen wir in der Turnhalle zu einer Vollversammlung zusammen. Der Adler kündigte an, dass die Schule Busse mietete, die uns am Sonntag zur Beerdigung in Vine Station brächten. Beim Rausgehen sah ich Takumi und Lara auf mich zukommen. Lara sah mich an und lächelte schwach. Ich lächelte zurück, aber dann wandte ich mich ab und tauchte in der Menge der Trauernden unter, die aus der Turnhalle strömten.
     
    Ich schlafe und Alaska kommt hereingestürmt. Sie ist nackt und kerngesund. Ihre Brüste, die ich nur sehr kurz und im Dunkeln berührt hatte, sind leuchtend und voll. Sie schwebt Zentimeter über mir, ihr Atem warm und süß wie ein Sommerwind, der durch hohes Gras streicht.
    »Hallo«, sage ich. »Ich hab dich vermisst.«
    »Du siehst gut aus, Pummel.«
    »Du auch.«
    »Ich bin so nackt«, sagt sie und lacht. »Wie bin ich bloß so nackt geworden?«
    »Ich will, dass du bleibst«, sage ich.
    »Nein«, sagt sie, und plötzlich fällt sie auf mich mit ihrem ganzen Gewicht, drückt auf meine Brust, raubt mir den Atem, und sie ist kalt und feucht wie schmelzendes Eis. Ihr Kopf ist gespalten, und aus dem Loch in ihrem Schädel quillt rosagraue Masse und tropft mir ins Gesicht, und sie stinkt nach Formaldehyd und verwesendem Fleisch. Ich würge und schiebe sie weg und habe fürchterliche Angst.
     
    Ich wachte im Fallen auf und landete mit einem Schlag auf dem Boden. Glücklicherweise bin ich immer der Typ gewesen, der unten schläft. Es war Morgen. Mittwoch, dachte ich. Sonntag war ihre Beerdigung. Ich fragte mich, ob der Colonel rechtzeitig zurückkam von dort, wo er war. Er musste zur Beerdigung kommen, denn ich konnte das nicht allein, und mit jedem anderen außer dem Colonel wäre ich allein.
    Der eiskalte Wind rüttelte an der Tür, und die Bäume vor dem Fenster bogen sich mit solcher Macht, dass ich ihr Knarren bis hier drin hören konnte, und ich setzte mich auf und dachte an den Colonel, der irgendwo da draußen war und mit gesenktem Kopf und zusammengebissenen Zähnen durch den Wind stapfte.
Vier Tage danach
    Es war fünf Uhr morgens. Ich las die Biografie des Entdeckers Meriwether Lewis (von der Lewis-und-Clark-Expedition) und versuchte, wach zu bleiben, als die Tür aufging und der Colonel reinkam.
    Seine bleichen Hände zitterten, und der Atlas, den er hielt, sah aus wie eine tanzende Marionette.
    »Frierst du?«, fragte ich.
    Er nickte, zog die Schuhe aus, legte sich in mein Bett und zog die Decke über sich. Seine Zähne klapperten wie Morsecode.
    »Ach du Scheiße, geht es dir gut?«
    »Schon besser. Wird wärmer«, sagte er. Eine kleine, geisterhaft weiße Hand schob sich unter der Decke hervor. »Halt meine Hand, ja?«
    »Na gut, aber nicht mehr. Kein Küssen.« Die Decke bewegte sich, als er lachte.
    »Wo warst du?«
    »Ich bin nach Montevallo gelaufen.«
    »Sechzig Kilometer!?«
    »Zweiundsechzig«, berichtigte er. »Also, zweiundsechzig in eine Richtung. Zweiundsechzig in die andere. Hundertzweiundzwanzig. Nein. Hundertvierundzwanzig. Ja. Hundertvierundzwanzig Kilometer in fünfundvierzig Stunden.«
    »Was zum Teufel hast du in Montevallo gemacht?«, fragte ich.
    »Nicht viel. Ich bin gelaufen, bis mir kalt wurde, dann bin ich umgekehrt.«
    »Du hast nicht geschlafen?«
    »Nein! Schlimme Träume. In den Träumen sieht sie nicht mal mehr aus wie sie selbst. Ich weiß nicht mehr, wie sie aussieht.«
    Ich ließ seine Hand los, holte das Jahrbuch aus dem Regal und fand ein Foto von ihr. Auf dem Schwarzweißfoto hat sie das orange Spaghettiträgerhemd an und abgeschnittene Jeans, die die Hälfte ihrer dünnen Oberschenkel freilassen, ihr Mund ist weit offen, das Lachen eingefroren, während sie Takumi mit dem linken Arm im Schwitzkasten hält. Die Haare fallen ihr ins Gesicht und werfen Schatten auf ihre Wangen.
    »Stimmt«, sagte der Colonel. »Ja. Ich hatte es so satt, wie sie ständig grundlos

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