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Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
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an. »Schnell und direkt«, las er.
    »Ja. Seltsam, oder? Der Weg aus dem Labyrinth, schätze ich.«
    »Halt mal! Wie ist es passiert? Was ist passiert?«
    Und weil es nur ein es gab, wusste ich sofort, was er meinte. »Ich hab dir erzählt, was der Adler gesagt hat. Ein Lastwagen war umgekippt. Ein Polizeiwagen stand da, um den Verkehr anzuhalten, und sie ist in den Polizeiwagen reingerast. Sie war so betrunken , dass sie nicht mal versucht hat auszuweichen.«
    »So betrunken? So betrunken ? Das Polizeiauto hatte doch sicher das Blaulicht an. Pummel, sie ist in ein Polizeiauto reingerast, das Blaulicht an hatte«, sagte er hastig. »Schnell und direkt. Schnell und direkt. Raus aus dem Labyrinth.«
    »Nein«, sagte ich, doch im gleichen Augenblick sah ich es vor mir. Ich sah, dass sie betrunken und aufgewühlt genug gewesen war. (Weswegen – weil sie Jake betrogen hatte? Weil sie mir weh tat? Weil sie mich wollte und nicht ihn? Immer noch, weil sie Marya verraten hatte?) Ich sah sie vor mir, wie sie das Polizeiauto sah, wie sie darauf zuhielt und wie ihr alles andere egal war, das Versprechen, das sie mir gegeben hatte, ihr Vater oder sonst jemand. Dieses Miststück, dieses Miststück, sie hatte sich umgebracht. Aber nein. Nein. So war sie nicht. Nein. Sie hatte gesagt: Wir machen morgen weiter. Natürlich. »Nein.«
    »Wahrscheinlich hast du recht«, seufzte der Colonel. Er ließ das Buch fallen, setzte sich zu mir aufs Bett und ließ den Kopf in die Hände sinken. »Wer fährt zehn Kilometer weit, um sich umzubringen? Das ist unlogisch. Aber ›schnell und direkt‹. Schräge Vorahnung, findest du nicht? Und wenn wir ehrlich sind, haben wir immer noch keinen Schimmer, was passiert ist. Wo sie hinwollte und warum. Oder wer angerufen hat. Es hat doch jemand angerufen, oder hab ich das –«
    Und während der Colonel weiterredete und versuchte, das Rätsel zu lösen, nahm ich das Buch und blätterte bis zu der Seite, wo der wahnsinnige Wettlauf des Generals zum Ende kam. Wir waren beide steckengeblieben, die Entfernung zwischen uns war unüberbrückbar. Ich konnte dem Colonel nicht mehr zuhören, weil ich mich darauf konzentrieren musste, den letzten Hauch ihres Geruchs einzusaugen und mir einzureden, dass sie es nicht mit Absicht getan hatte. Ich war schuld – ich und der Colonel. Sollte er sich ruhig eine Ausrede zurechtlegen. Ich wusste es besser. Ich wusste, dass wir nie wieder etwas anderes wären als schuldig, voll und ganz und unverzeihlich schuldig.
Acht Tage danach
    Dienstag – zum ersten Mal hatten wir wieder Unterricht. Zu Beginn der Französischstunde hielt Madame O’Mailley eine Schweigeminute, ausgerechnet in der Stunde, in der sowieso meistens geschwiegen wurde, und dann fragte sie, wie es uns ging.
    »Schrecklich«, sagte ein Mädchen.
    » En français «, sagte Madame O’Malley. » En français. «
     
    Alles sah aus wie immer, nur dass alles stiller war: Die Tagestäter saßen auf den Bänken vor der Bibliothek, doch sie unterhielten sich zurückhaltender, weniger großmäulig. Im Speisesaal klapperten die Plastiktabletts auf den Tischen, und die Gabeln kratzten auf den Tellern, aber die Gespräche waren gedämpft. Schlimmer aber als die Lautlosigkeit der anderen war die Stille dort, wo sie hätte sein sollen, die plappernde, kichernde, prickelnde Alaska. Es war wie in den Zeiten, in denen sie sich zurückzog, in denen sie sich weigerte, Wie - und Was-Fragen zu beantworten. Nur diesmal war es für immer.
    In Religion setzte sich der Colonel neben mich, seufzte und sagte: »Du riechst nach Rauch, Pummel.«
    »Frag mal, ob mich das interessiert.«
    In diesem Moment kam Dr. Hyde hereingeschlurft. Er hatte unsere Aufsätze unter dem Arm. Er setzte sich, schnaufte ein paar Mal durch, dann fing er an zu reden. »Es sollte verboten sein, dass Eltern ihre Kinder beerdigen müssen«, sagte er, »das sollte es wirklich. In diesem Halbjahr beschäftigen wir uns weiter mit den religiösen Strömungen, deren Betrachtung wir im Herbst begonnen haben. Zweifellos sind die Fragen, die wir uns nun stellen, sehr viel drängender geworden als noch vor ein paar Tagen. Was mit uns passiert, wenn wir sterben, ist nicht länger eine Frage von philosophischem Interesse. Es ist eine Frage, die wir uns in Bezug auf eine Klassenkameradin stellen müssen. Und wie man im Schatten der Trauer weiterlebt, ist nicht mehr ein Problem, mit dem sich namenlose Buddhisten, Christen und Moslems auseinandersetzen. Die großen Fragen,

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