Eine wie Alaska
Kopf und rollte die Augen, doch ich ging ihm hinterher, den Weg entlang, an der Telefonzelle vorbei zu ihrem Zimmer.
Ich hatte nicht an ihren Geruch gedacht, seit sie gestorben war. Doch als der Colonel die Tür öffnete, stieg mir ihr Duft in die Nase: feuchte Erde und Gras und Zigarettenrauch und irgendwo darunter der Hauch von Vanillelotion. Sie flutete meine Gegenwart, und nur der Anstand hielt mich davon ab, den Kopf in ihrer Wäsche zu vergraben, die aus dem Korb neben der Kommode quoll. Es sah genau so aus wie in meiner Erinnerung: Hunderte von Büchern an den Wänden gestapelt, die blasslila Überdecke zerknüllt am Fuß des Bettes, ein schiefer Stapel Bücher auf dem Nachttisch, die Vulkankerze, die unter dem Bett hervorsah. Es sah aus, wie es aussehen musste, doch der Geruch, unverwechselbar ihr Geruch, schockierte mich. Mit geschlossenen Augen stand ich in der Mitte des Zimmers und atmete tief durch die Nase ein, Vanille und ungemähtes Gras im Herbst, aber mit jedem tiefen Atemzug wurde der Duft schwächer, ich gewöhnte mich daran, und bald nahm ich ihn nicht mehr wahr.
»Das ist nicht auszuhalten«, sagte ich sachlich, denn genauso verhielt es sich. »Gott. All die Bücher, die sie nie gelesen hat. Die Bibliothek ihres Lebens.«
»Auf Flohmärkten gekauft und wahrscheinlich für den nächsten Flohmarkt bestimmt.«
»Asche zu Asche. Flohmarkt zu Flohmarkt«, sagte ich.
»Genau. Also gut. Zum Geschäft. Wir suchen alles, was ihre Tante nicht finden soll«, sagte der Colonel, und ich sah, wie er sich vor ihren Schreibtisch kniete und mit seinen kleinen Händen Bündel vergilbter Blätter aus der Schublade unter ihrem Computer zog. »Mann, sie hat all ihre Aufsätze aufgehoben. Moby Dick. Ethan Frome. «
Ich griff unter ihre Matratze, um die Kondome rauszuholen, die sie dort für Jakes Besuche versteckte, wie ich wusste. Ich steckte sie ein, und dann ging ich an ihre Kommode und suchte in ihrer Unterwäsche nach versteckten Weinflaschen oder Sexspielzeug oder weiß Gott was sonst. Ich fand nichts. Dann nahm ich mir die Bücher vor, starrte sie an, quer gestapelt, Rückennach vorn, diese zufällige Sammlung von Literatur, die Alaska war. Da war ein Buch, das ich gerne mitnehmen wollte, doch ich fand es nicht.
Der Colonel saß auf dem Boden neben dem Bett und steckte den Kopf unter den Bettkasten. »Sie hat wohl keinen Tropfen Alkohol übrig gelassen, was?«, stellte er fest.
Fast hätte ich gesagt: Sie hat ihn hinter dem Fußballplatz am Waldrand vergraben , aber dann wurde mir klar, dass der Colonel nichts davon wusste, dass sie nie mit ihm dorthin gegangen war, nie mit ihm nach ihrem Schatz gegraben hatte, dass sie dieses Geheimnis nur mit mir teilte, und so behielt ich es für mich wie ein heiliges Andenken, als könnte es sich in Luft auflösen, falls ich die Erinnerung verriet.
»Siehst du Der General in seinem Labyrinth irgendwo?«, fragte ich, während ich die Buchrücken überflog. »Grüner Umschlag, glaube ich. Ein Taschenbuch. Es ist nass geworden, also ist es wahrscheinlich aufgequollen, aber ich glaube nicht, dass sie es –«
Er unterbrach mich: »Ja, hier ist es«, und ich drehte mich um. Er hielt es in der Hand. Die Seiten waren aufgequollen wie ein Akkordeon seit dem Streich, den Longwell, Jeff und Kevin ihr gespielt hatten. Ich nahm ihm das Buch aus der Hand und setzte mich aufs Bett. Die Stellen, die sie unterstrichen hatte, und die kleinen Randbemerkungen waren alle verschwommen, aber das Buch war noch lesbar, und ich dachte gerade, ich würde es mitnehmen und lesen, auch wenn es keine Biografie war, als ich die Seite am Ende des Buches aufschlug:
Ihn durchschauerte die überwältigende Offenbarung, dass der wahnsinnige Wettlauf zwischen seinen Leiden und seinen Träumen in jenem Augenblick sein Ziel erreichte. Der Rest war Finsternis.
»Verflucht noch mal!« seufzte er. »Wie komme ich bloß aus diesem Labyrinth heraus!« 1
Die ganze Passage war mit verlaufener schwarzer Tinte unterstrichen. Doch daneben stand noch etwas in Tinte, gestochen klar und leuchtend blau, nach der Flut hineingeschrieben, mit einem Pfeil, der von »Wie komme ich bloß aus diesem Labyrinth heraus!« auf eine Randbemerkung zeigte, geschrieben in ihrer geschwungenen kursiven Schrift: SCHNELL & DIREKT.
»Hey, sie hat hier nach der Flut noch was reingeschrieben«, sagte ich. »Eigenartig. Schau mal. Seite 344.«
Ich warf dem Colonel das Buch zu, und er schlug die Seite auf. Dann sah er mich
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