Eine wie Alaska
Colonel, warum heißt es eigentliech Rauchergrotte?«, fragte Lara. »Es ist doch nur eine Stelle unter der Brücke.«
»Na ja, wie die Grotte von Lourdes«, sagte der Colonel. »Wenn wir Katholiken wären, würden wir hierher pilgern, um zu beten. Aber wir sind Raucher, und deshalb kommen wir zum Rauchen her. Ich weiß auch nicht. Ich glaube, Alaska hat die Stelle so getauft.« Der Colonel zog eine Zigarette aus seinem Päckchen und warf sie ins Wasser.
»Was machst du da?«, fragte ich.
»Für sie«, sagte er.
Ich lächelte halb und tat es ihm nach. Dann gab ich Takumi und Lara Zigaretten, und sie taten das Gleiche. Ein paar Sekunden tanzten und wirbelten die Zigaretten auf dem Wasser, dann trieben sie davon. Ich war nicht religiös, doch ich mochte Rituale. Es tat gut, eine Erinnerung mit einer Handlung zu verbinden. In China, hatte uns der Alte erzählt, gab es Tage, die für das Reinigen der Gräber reserviert waren, an denen man den Toten Geschenke machte. Alaska hätte sicher gerne mit uns geraucht, und ich fand, der Colonel hatte ein ausgezeichnetes Ritual begründet.
Der Colonel spuckte in den Bach und brach das Schweigen. »Seltsame Sache, mit den Geistern zu reden«, sagte er. »Du weißt nie, ob du dir die Antworten selbst ausdenkst, oder ob sie dir wirklich was sagen.«
»Machen wir eine Liste«, schlug Takumi vor, um nicht über Gefühle reden zu müssen. »Was für Hinweise haben wir, die für Selbstmord sprechen?«
Der Colonel zog den Notizblock hervor, den er jetzt immer mit sich herumtrug.
»Sie hat nicht gebremst«, sagte ich, und der Colonel notierte es.
Und sie war völlig aufgelöst wegen irgendwas, auch wenn sie schon oft völlig aufgelöst gewesen war, ohne dass sie sich gleich umgebracht hatte. Wir überlegten, ob sie die Blumen vielleicht als eine Art Grabschmuck für sich selbst mitgenommen hatte, als Trauergebinde oder so was. Doch das schien uns Alaska nicht ähnlich zu sehen. Sie war voller Rätsel, sicher, aber falls sie ihren Selbstmord bis hin zum Blumenarrangement geplant hätte, dann hätte sie wahrscheinlich auch gewusst, wie sie sich umbringen wollte. Dass sie ein Streifenwagen auf der I-65 erwarten würde, hatte sie nicht wissen können.
Und die Hinweise, die für einen Unfall sprachen?
»Sie war ziemlich betrunken. Vielleicht hat sie gedacht, sie würde an dem Streifenwagen vorbeikommen, auch wenn ich mir das schwer vorstellen kann«, sagte Takumi.
»Vielleicht ist sie am Steuer eingeschlafen«, meinte Lara.
»Ja, daran haben wir auch schon gedacht«, sagte ich. »Aber ich glaube kaum, dass man im Schlaf kerzengerade weiterfährt.«
»Und das lässt sich wohl auch schlecht nachprüfen, ohne dass wir unser Leben riskieren«, warf der Colonel lakonisch ein. »Andererseits gab es für Selbstmord keine Warnsignale. Sie hat nie davon gesprochen, dass sie sterben wollte, und ihre Lieblingssachen hat sie auch nicht verschenkt.«
»Das sind zwei Hinweise für einen Unfall. Besoffen, und kein Vorhaben zu sterben«, sagte Takumi. Es führte zu nichts. Der gleiche Tanz um dieselbe Frage. Weiterzugrübeln brachte uns nicht voran. Wir brauchten mehr Informationen.
»Wir müssen rausfinden, wohin sie wollte«, sagte der Colonel.
»Die Letzten, die mit ihr gesprochen haben, waren ich, du und Jake«, erinnerte ich ihn. »Und von uns weiß es keiner. Wie zum Teufel sollen wir es rausfinden?«
Takumi sah den Colonel an und seufzte. »Ich glaube nicht mal, dass es helfen würde, wenn wir wüssten, wohin sie wollte. Ich glaube, das würde es nur noch schlimmer machen. Nur so ein Bauchgefühl.«
»Aber mein Bauch würde es gern wiessen«, warf Lara ein, und erst in diesem Moment kapierte ich, was Takumi meinte an dem Tag, als wir zusammen unter der Dusche standen – ich hatte sie vielleicht geküsst, aber ich hatte nicht das Monopol auf Alaska; der Colonel und ich waren nicht die Einzigen, die sie geliebt hatten, und wir waren nicht allein auf der Suche nach Antworten auf die Fragen, wie und warum sie gestorben war.
»So oder so«, sagte der Colonel, »wir stecken in einer Sackgasse. Einer von euch muss sich was einfallen lassen. Mir sind die Geistesblitze nämlich ausgegangen.«
Er schnippte seine Kippe in den Bach, stand auf und ging. Wir folgten ihm. Selbst in der Niederlage war er immer noch der Colonel.
Einundfünfzig Tage danach
Während unsere Untersuchung ins Stocken geriet, nahm ich meine Lektüre für Religion wieder auf und machte damit dem Alten eine Freude, dessen
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