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Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
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Januarwinden zurück. Als ich in mein Zimmer kam, saß Takumi auf meiner Couch und las in meiner Tolstoi-Biografie.
    »Hallo«, sagte ich.
    Er schloss das Buch und legte es neben sich. »Zehnter Januar.«
    »Was?«
    »Zehnter Januar. Klingelt es?«
    »Ja, das ist der Tag, an dem Alaska starb.« Genau genommen war sie drei Stunden nach Anbruch des elften Januar gestorben, aber für uns war es immer noch Montagabend, der zehnte Januar.
    »Klar, aber da ist noch was, Pummel. Neunter Januar. Alaska und ihre Mutter waren im Zoo.«
    »Warte mal. Nein. Woher weißt du das?«
    »Sie hat uns in der Scheunennacht davon erzählt. Erinnerst du dich nicht?«
    Natürlich erinnerte ich mich nicht. Hätte ich mich an Zahlen erinnern können, wäre ich nicht so schlecht in Mathe.
    »Ach du Scheiße«, sagte ich, als der Colonel hereinkam.
    »Was?«, fragte der Colonel.
    »Neunter Januar 1997«, sagte ich. »Alaska fand die Bären toll. Ihre Mutter die Affen.« Einen Moment sah mich der Colonel verständnislos an, dann nahm er den Rucksack ab und warf ihn in einer einzigen Bewegung quer durchs Zimmer.
    »Ach du Scheiße«, sagte er. »WARUM ZUM TEUFEL IST MIR DAS NICHT AUFGEFALLEN!«
    In einer Minute hatte der Colonel die beste Lösung formuliert, die irgendjemand von uns je haben würde. »Also gut. Sie schläft. Jake ruft an, und sie redet mit ihm, dabei malt sie an die Wand, und dann sieht sie ihre weißen Blumen an, und: ›O Gott, meine Mutter liebte weiße Blumen und hat sie mir ins Haar gesteckt, als ich klein war‹, und dann dreht sie durch. Sie kommt zurück ins Zimmer und schreit, sie hat was vergessen – sie hat natürlich ihre Mutter vergessen –, und dann nimmt sie die Blumen und fährt los, auf dem Weg – wohin?« Er sah mich an. »Wohin? Zum Grab ihrer Mutter?«
    Und ich sagte: »Ja, wahrscheinlich. Sie steigt also ins Auto und will einfach nur ans Grab ihrer Mutter, doch auf der Straße ist ein Lastwagen umgekippt, und die Bullen sind da, und sie ist blau und wütend und hat es eilig, sie denkt, sie könnte sich noch neben dem Streifenwagen durchquetschen, sie kann nicht klar denken, aber sie muss zu ihrer Mutter, und sie denkt, irgendwie kommt sie da schon vorbei, und dann – PUFF .«
    Takumi nickt langsam, denkt nach und sagt: »Oder sie steigt mit den Blumen ins Auto. Aber sie hat den Todestag schon verpasst. Wahrscheinlich denkt sie, dass sie ihre Mutter schon wieder hat hängen lassen – erst ruft sie den Notarzt nicht, und jetzt erinnert sie sich nicht mal an ihren verdammten Todestag. Und sie ist stocksauer, und sie hasst sich, und dann beschließt sie: ›Das war’s, ich tu es einfach‹, und sie sieht den Streifenwagen, und das ist ihre Chance, und sie rast einfach hinein.«
    Der Colonel griff in die Hosentasche und holte ein Päckchen Zigaretten raus, mit dem er auf den COUCHTISCH klopfte. »Also«, sagte er. »Das ist dann wohl geklärt.«
Einhundertachtzehn Tage danach
    Und so gaben wir auf. Ich hatte endlich genug davon, einem Geist hinterherzujagen, der sich nicht zeigen wollte. Vielleicht hatten wir versagt. Vielleicht sollen manche Rätsel ungelöst bleiben. Ich kannte sie immer noch nicht so gut, wie ich sie kennen wollte, aber das würde ich auch nie. Sie hatte es mir unmöglich gemacht. Ihr Selbstmordfall, ihr Unfallmord würde nie etwas anderes sein als das, und mir blieb die Frage: Habe ich dir zu einem Schicksal verholfen, das du nicht gewollt hast, Alaska, oder habe ich dich nur bei deiner bewussten Selbstzerstörung unterstützt? Denn es sind zwei unterschiedliche Verbrechen, und ich wusste nicht, ob ich wütend auf sie sein sollte dafür, dass sie mich zum Werkzeug ihres Selbstmords machte, oder nur wütend auf mich, weil ich sie hatte gehen lassen.
    Nun wussten wir alles, was es zu wissen gab, und der Weg dahin hatte uns einander näher gebracht – den Colonel, Takumi und mich jedenfalls. Und das war’s. Alaska hinterließ mir nicht genug, um sie zu ergründen, doch sie hinterließ mir genug, um das große Vielleicht wiederzufinden.
     
    »Es gibt noch eine Sache, die wir tun sollten«, sagte der Colonel, als wir zusammen ein Videospiel spielten, mit eingeschaltetem Sound – nur wir zwei, wie in den ersten Tagen der Untersuchung.
    »Wir können nichts mehr tun.«
    »Ich will dort vorbeifahren«, sagte er. »Wie sie.«
    Mitten in der Nacht das Schulgelände zu verlassen, wie sie, konnten wir nicht riskieren, und so machten wir uns genau zwölf Stunden vorher auf den Weg, um drei Uhr

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