Eine wie Alaska
warf. Der Alte wollte es so, und so geschah es. Er saß auf dem Stuhl, den Kevin Richman für ihn rausgetragen hatte, und wir saßen im Gras. Ich hielt den Spiralblock auf dem Schoß, was unbequem war, dann legte ich ihn ins Gras, doch auf dem buckligen Untergrund konnte ich schlecht schreiben, und außerdem fielen die ganze Zeit die Mücken über mich her. Wir waren zu nah am See, aber der Alte schien glücklich zu sein.
»Ich habe hier Ihre Prüfungsfrage. Im letzten Halbjahr hatten Sie zwei Monate Zeit, um den Aufsatz zu schreiben. Diesmal haben Sie nur zwei Wochen.« Er hielt inne. »Aber das ist nicht zu ändern, schätze ich.« Er lachte. »Ehrlich gesagt habe ich mich erst gestern Abend für die Frage entschieden, was mir gar nicht ähnlich sieht. Na schön. Teilen Sie diese bitte aus.« Als mich der Stapel erreichte, las ich:
Wie wollen Sie persönlich aus dem Labyrinth des Leidens finden? Jetzt, da Sie drei der großen Religionen studiert haben, nutzen Sie Ihr neu erworbenes, erleuchtendes Wissen, um auf Alaskas Frage zu antworten.
Nachdem die Blätter verteilt waren, erklärte der Alte: »Sie müssen nicht die Perspektive jeder der Religionen im Speziellen darlegen, brauchen also keine Recherchen anzustellen. Ihr Wissen, oder den Mangel desselben, habe ich mit den Tests während des Halbjahrs hinreichend überprüft. Was hier von Ihnen verlangt wird, ist: Sind Sie in der Lage, die unbestreitbare Tatsache des Leidens mit Ihrem Verständnis der Welt zu vereinbaren, und wie hoffen Sie, sich trotzdem im Leben durchzuschlagen?
Nächstes Jahr, falls meine Lunge so lange mitspielt, widmen wir uns dem Taoismus, dem Hinduismus und dem Judaismus –« Der Alte hustete, und dann fing er an zu lachen, was ihn wieder zum Husten brachte. »Lieber Gott, vielleicht halte ich nicht so lange durch. Aber etwas möchte ich noch zu den drei Religionen sagen, die wir in diesem Jahr durchgenommen haben. Der Islam, das Christentum und der Buddhismus, sie alle beziehen sich auf eine Gründerfigur – Mohammed, Jesus und Buddha. Und bei näherer Betrachtung stellen wir fest, dass jede dieser drei Gründerfiguren eine Botschaft von radikaler Hoffnung mitbrachte. Ins Arabien des siebzehnten Jahrhunderts kam Mohammed mit dem Versprechen, dass jeder Erfüllung und das ewige Leben finden könnte, wenn er dem einen wahren Gott Treue gelobte. Buddha brachte die Hoffnung, dass das Leiden überwindbar ist. Jesu Botschaft war, dass die Letzten die Ersten sein würden, dass selbst Steuereintreiber und Leprakranke – die Outcasts von damals – Grund zur Hoffnung hatten. Dies ist die Frage, die ich Ihnen für die Abschlussprüfung mit auf den Weg gebe: Worin besteht für Sie der Grund zur Hoffnung?«
Zurück in Zimmer 43 zündete sich der Colonel eine Zigarette an. Obwohl ich immer noch einen Abend Geschirr zu spülen hatte, um meine Raucherstrafe zu verbüßen, hatten wir kaum noch Angst vor dem Adler. Es waren noch fünfzehn Tage bis zu den Sommerferien, und falls wir erwischt würden, müssten wir die Senior-Klasse eben mit ein paar Arbeitsstunden beginnen.
»Und, Colonel, kommen wir je aus dem Labyrinth des Leidens raus?«, fragte ich.
»Wenn ich das wüsste«, sagte er.
»Dafür kriegst du keine Eins.«
»Damit hätte meine Seele auch keinen Frieden.«
»Oder ihre Seele«, sagte ich.
»Stimmt. Sie hatte ich ganz vergessen.« Er schüttelte den Kopf. »Das passiert mir immer wieder.«
»Irgendwas musst du schreiben«, warf ich ein.
»Nach all der Zeit scheint mir, dass schnell und direkt der einzige Weg bleibt, der raus führt – aber ich entscheide mich für das Labyrinth. Das Labyrinth ist echt beschissen, aber ich entscheide mich dafür.«
Einhundertsechsunddreißig Tage danach
Zwei Wochen später hatte ich den Aufsatz für den Alten immer noch nicht fertig, und das Halbjahr hatte nur noch vierundzwanzig Stunden. Ich kam gerade von der letzten Klausur, einer blutigen, doch am Ende erfolgreichen Schlacht (wie ich hoffte) gegen die Integralrechnung, die mir die 2– bescheren würde, auf die ich so hoffte. Draußen war es wieder richtig heiß, und die Hitze erinnerte mich an sie. Und es ging mir ganz gut dabei. Morgen würden meine Eltern kommen und meinen Kram einladen, wir würden uns die Abschlussfeier ansehen und dann zurück nach Florida fahren. Der Colonel verbrachte den Sommer zu Hause bei seiner Mutter, wo er den Sojabohnen beim Wachsen zusehen würde, und Lara wurde wieder von der grünen Limousine
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