Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Handwerk pfuschen … Und so ging es immer weiter. Kraft dessen reüssierte er bei den Kindermädchen, die Kinderwagen durch die Parks schoben, und bei respektablen Matronen in reiferem Alter, die unschuldigen Herzens bereit waren, dieses fruchtbare, junge Talent mit der glänzendenZukunft, das unablässig in die Fänge der Zensur geriet, unter ihre Fittiche zu nehmen.
Davon abgesehen hatte Markus Schwarz, wie so mancher Stümper, eine Schwäche für dicke Bücher mit schwierigem Inhalt aus allen Bereichen der Wissenschaft, Kritik und Philosophie, und kaufte sie bei jeder Gelegenheit: teure, seltene Prachtbände und Erstausgaben mit Faksimiles, die längst vergriffen waren. Seine Sammlung umfasste bereits mehrere Hundert Bände, die sein ganzer Stolz waren. Fraglich war, ob er je ein Buch von Anfang bis Ende gelesen hatte, aber fast alle waren an verschiedenen Stellen mit Bleistift angestrichen, ob nötig oder nicht, damit alle sahen, dass er sie »durchgearbeitet« hatte. Jedenfalls trug er jeden Tag neben seiner Tasche ein anderes Buch bei sich, wie einer, der täglich seinen Kragen wechselt.
Er bewohnte ein schmales Zimmer mit dem Maler aus Odessa. Die eine Zimmerhälfte war voll mit Büchern, die sich auf dem Regal, in Kisten und auf dem Tisch stapelten, und die andere war mit Bildern, Skizzen, Rahmen, Farbkästen, Pinseln, einer Staffelei und Ähnlichem mehr bis auf den letzten Fleck angefüllt. So hausten die beiden, jeder in seiner Ecke, und gemeinsam brühten sie Tee auf dem Spirituskocher.
Michael Rost wohnte also zusammen mit dem fingerverletzten Beril Kanfer, der im Achdut »Beril, die Jungfrau« genannt wurde. Ihr Souterrainzimmer war so lang und schmal wie ein Messer, und das Fenster am Ende blickte auf ein Viereck des höher liegenden Hofs, in dem sommers wie winters ein blutloser, eintönig grauer Tag gefangen saß. In diesem Hof stritten Gerüche von trocknenden Windeln und Wäsche, aus geschäftigen Küchen, von Hund und Katz, die Stimmen weinender Babys, schreiender, streitender, zankender Frauen, die von Fenster zu Fenster üble Nachredeführten, alles je nach Tageszeit, miteinander. Vormittags erdröhnte der Hof vom Ausklopfen des Bettzeugs und füllte sich mich Schwaden von Staub und Ungeziefer, und gegen Abend hörte man zuweilen die junge Stimme eines Dienstmädchens von ihrer Jugend und ihrem grünen Dorf singen. Trotz des Generationenwechsels, der auch hier eintrat, stand die Zeit in diesem Hof still, und das sprühende Leben mit seinem Tun und Treiben schien meilenweit entfernt zu sein, in einer anderen Welt. Michael Rost, der ab und zu nachmittags am Fenster saß, um sich die Landessprache anzueignen, während das Zimmer der Wirtin, vollgestopft mit alten Möbeln, Kleinkindern, Geschrei, Gestank, seine Tür belagerte, hob gelegentlich die Augen vom Buch und sinnierte stillvergnügt, dass sein Leben jedenfalls nichts von der Langeweile eines geregelten Tagesablaufs haben würde. Er wusste schon jetzt, dass ihm keine Situation Furcht einflößen würde und er jedes Gefühl bis zur Neige auskosten, seinen aufrechten, geschmeidigen Körper alle Lebensstadien gleichermaßen durchgleiten lassen wollte.
Bei Einbruch der Dunkelheit kam Beril Kanfer gutgelaunt herein. Er hatte heute das Geld abgeholt, das ihm regelmäßig von der Krankenkasse zustand, und lud Rost ein, bei den guten Dingen mitzuhalten, die er eingekauft hatte: Wurst, Butter und Käse. Kanfers Pauspacken waren leicht gerötet, und er kaute mit sichtlichem Genuss. »Ich hab vergessen, dir zu erzählen«, brachte er mit vollem Mund heraus, »Resl hat nach dir gefragt. Hat mir einen Zettel für dich mitgegeben.«
»Resl?«
»Die vom Achdut, die Rotblonde.«
Rost las auf dem mit Schreibfehlern garnierten Zettel, Resl würde ihn um acht Uhr an einer bestimmten Straßenecke erwarten.
»Ich geh nicht hin«, sagte Rost entschieden.
»Ein prima Mädel! – Wenn sie mich eingeladen hätte!«
»Wenn du willst, geh an meiner Stelle hin.«
»Du scherzt.«
»Ich scherze nicht. Sag ihr, ich wäre heute Abend beschäftigt, du darfst ihr sagen, was dir einfällt. Ist mir egal.«
Beril Kanfer beendete eilig sein Mahl. Er wechselte die Krawatte, ölte seine rotbraun schimmernden Haare, bürstete Kleidung und Hut ab und war ausgehfertig. Ehe er das Haus verließ, luchste Rost ihm eine anständige Anleihe ab, was ihm zu anderer Zeit sicher nicht gelungen wäre.
Beril Kanfers gute Laune hielt noch zwei Tage an. Danach verfinsterte sich seine
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