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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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passende Gelegenheit.«
    »Schön. Sagen wir, Sie ändern heute Ihr Äußeres. Angefangen mit einem Anzug und bis hin zu einem hübschen Zimmer. Ist das eine passende Gelegenheit in Ihren Augen?«
    »Das will ich meinen.«
    »Und in drei Tagen, am Donnerstag, treffen wir uns hier wieder. Um diese Uhrzeit.«
    Er stellte sich mit dem Namen Peter Dean vor. Dann rief er den Kellner und zahlte. Als sie das Kaffeehaus verließen, war die Sonne schon zu den obersten Etagen hinaufgeklettert. Sie gingen von einem Geschäftshaus zum anderen. Peter Dean sparte nicht beim Einkauf. Er kaufte alles Erforderlichevon bester Qualität, mit weltmännischem Geschmack, und vergaß auch nicht, einen schönen Koffer zu erwerben. Danach übergab er Rost einen Hundert-Kronen-Schein und verabschiedete sich. »Sie suchen sich unterdessen ein hübsches Zimmer, und am Donnerstag treffen wir uns wie verabredet im Kaffeehaus.«
    Rost stieg in eine Tram und fuhr mit dem vollen Koffer zu der Alten und zu dem Kanarienvogel und zu dem knochigen kleinen Jesus. Am nächsten Morgen teilte er der alten Frau mit, dass er nicht die Absicht habe, bis zu ihrem Umzug ins Altersheim zu warten. Die Alte sagte, sie bedaure das zutiefst. Sie habe sich schon an ihn gewöhnt, und wenn er jetzt nicht imstande sei, seine Schuld zu begleichen, werde sie gern warten, werde es nicht als Zahlungsverzug betrachten. Rost rief: »Auf Wiedersehen, Frau Messerschmitt, ich ändere mich gerade!«
    Dann fuhr er in ein ruhiges Innenstadtviertel mit stattlichen Häusern, die immer verschlossen und schweigend dastanden: die Domizile wohlhabender Bürger, an deren Türpfosten kaum je jene Zettel mit »Zimmer zu vermieten« hingen, von denen es in den Armenvierteln wimmelte. Er schlenderte durch die verschlafenen Straßen, die der Stadtlärm nur gedämpft von fern erreichte. Nach ein paar Zimmern, die ihm nicht zusagten, klingelte er in einer zweiten Etage. Auf dem Messingschild stand der Name »Georg Stift«. Eine Frau Mitte dreißig, nicht hässlich, öffnete die Tür. »Es war das Zimmer meines Schwagers«, sagte sie entschuldigend, »er studiert jetzt in Heidelberg.«
    Das Zimmer, das sie ihm zeigte, war geschmackvoll möbliert, geräumig und erfüllt von der warmen, lauen Luft eines Sommernachmittags. Ein leichter Lavendelduft hing im Raum, wie die Abstraktion eines Dufts. Die beiden Fenster blickten auf die ruhige Straße, versehen mit schweren, weinrotenVorhängen. Die Hausherrin verfolgte seine Bewegungen mit den Augen, und ein sympathisches Lächeln trat auf ihr Gesicht. Ungarin oder Italienerin, schloss Rost. Er mietete das Zimmer.
    Frau Stift sagte: »Fühlen Sie sich wohl hier. Falls Sie gern Klavier spielen, können Sie das im Salon benutzen, wann immer Sie möchten.«
    Am Nachmittag holte Rost seine Sachen. Nach einigen kleinen Ausgaben und der Entrichtung einer Monatsmiete für das Zimmer verblieben ihm noch rund zwanzig Kronen. Gegen Abend ging er auf die Straße, und die Stadt war wie ausgewechselt. Sie war gewissermaßen offener geworden, das Leben beschränkte sich nun nicht mehr auf einen banalen Punkt, die nächste Mahlzeit, wohinter alles andere bis zur Unkenntlichkeit verschwamm. Alles um ihn her trat jetzt in den Vordergrund, verlangte Beachtung. Die leise Beklemmung wich vom Herzen, der Blick wurde freier, schärfer. Die Abenddämmerung breitete sich langsam in den Straßen aus. Die Rollläden vor den Schaufenstern ratterten herunter. Die Leuchtreklamen blinkten schon mit ihren bunten Lettern. Volle Trams beförderten Bürokräfte und Ladenangestellte aus der Innenstadt in die Vororte. Rost ging ohne Hast, ein neuer Mensch, offen und bereit, den Abend mit allen Poren seines Körpers aufzusaugen. Das Wasser des Kanals dunkelte mit der einziehenden Nacht.
    Im Achdut waren die Tische schon fürs Abendessen gedeckt. Reb Chaim Stock schritt wieder würdig und gemessen von Saal zu Saal, die Hände auf dem Rücken, und Malwine füllte hinter der Theke Schnapsgläser und Bierkrüge. Zwei Kellner mit flachen, schwarzen Käppchen, die ihnen wie kleine Flicken auf der Tolle saßen, und in fast sauberen weißen Leinenjacken bedienten ein paar frühe Gäste und riefen in ungarischem Tonfall in die Küche: » Kischke , Rindsbraten,Brei!« Und zu Malwine: »Einen Weißen Gespritzten!« Und in den Raum: »Vorsicht, Soße!«
    In der Teestube, die durch eine übermannshohe Milchglasscheibe vom großen Saal getrennt war, versammelte sich die Gruppe um einen großen Tisch:

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