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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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Jascha aus Odessa mit der fetten Fritzi, Arnold Kroin, der Heldentenor, Markus Schwarz, der Dramaturg, Beril, die Jungfrau, der sich weiterhin von seinem zerquetschten Finger ernährte, Mischa, der Anarchist, der die Argumente seines Gesprächspartners immer mit der Wendung »Ich spucke auf alles« wegwischte, und ein knorriger, sehniger Bursche mit einem blinden und einem sehenden Auge, das klein, schwarz und durchdringend war wie das eines Vogels. Ihn sah Rost jetzt zum ersten Mal.
    Einige hatten leere Schnapsgläser vor sich stehen und waren zum Scherzen aufgelegt. »Da ist er ja!«, begrüßte Jascha aus Odessa ihn in seinem starken Bariton. »Ist ja eine Ewigkeit her!«
    »Wie geckenhaft!«, rief die fette Fritzi. »Sicher hast du eine Bank ausgeraubt!«
    »Nimm Platz!«, sagte Jascha, der Wortführer. »Was willst du trinken?«
    »Umgekehrt, heute bin ich dran. Alfred, Slibowitz für die ganze Runde! Und ein Stück Hering vom Feinsten!«
    »Ich hab euch ja gleich gesagt, dass er eine Bank ausgeraubt hat!«
    Markus Schwarz strich sich das Haar zurück. Seine Krawatte flatterte bei jedem Luftzug wie ein exotischer, schwarzer Vogel. »In zwei Wochen wird die Entscheidung fallen«, wandte er sich an Beril Kanfer und Mischa, den Anarchisten, »wenn ›Das Weltenrad‹ auf die Bühne kommt! Champagner werdet ihr dann bei mir trinken! Das gibt ein Fest!«
    »Mir erzähl mal keine Märchen!«, fiel Mischa, der Anarchist, ihm ins Wort.
    Der Einäugige trank schweigend und ließ das sehende Auge schweifen. Einen Moment ruhte es forschend, fragend auf Rost, ihm gegenüber, und weckte ein ungemütliches Gefühl bei ihm.
    Dieser Bursche war wenige Wochen zuvor im Achdut aufgetaucht. Kein Mensch wusste, wo er herkam, wer er war und was er trieb. Man nannte ihn Jan, ohne zu wissen, ob das sein richtiger Name war. Meist schwieg er, beteiligte sich an keinem Gespräch. Wenn er Partner fand, spielte er Domino oder Karten in dem dafür vorgesehenen Hinterzimmer, das man vom Flur betrat und dessen Fenster auf den Hof ging. Er gewann fast immer. Zwischen Jascha aus Odessa und ihm war eine Art stummer Wettkampf im Gang, und Jascha wartete auf eine günstige Gelegenheit, ihn fertigzumachen. Aber Jan entschlüpfte ihm jedes Mal. Er reagierte nicht auf Jaschas Provokationen. Tat so, als höre er nichts, und spielte in solchen Situationen lässig mit einem großen Taschenmesser, das er hervorgezogen hatte.
    Das Restaurant füllte sich zusehends mit Geschirrgeklapper, Reden, Lachen, Rufen. Durch die offenen Fenster drangen die Stimmen spielender Kinder, das Kläffen streitender Hunde, ferne Klänge einer heiseren Harmonika. Die fette Fritzi saß Rost gegenüber und verschlang ihn mit den Augen. Rost tat so, als merke er es nicht. Dann sagte sie: »Wann nimmst du denn eine Frau, kleiner Rost?«
    »Bald«, lachte er.
    »Eine Schwarzhaarige?«
    »Selbstverständlich, eine Schwarzhaarige wie dich.« Fritzi war gelb wie eine Zwiebelschale.
    »Als Erstes müssen wir Beril, die Jungfrau, verheiraten«, sagte Jascha, »er kann nicht länger warten.«
    »Er will keine Schwarzhaarige«, lachte Fritzi, »entweder Resl oder keine.«
    Beril Kanfer grinste verlegen und gab keine Antwort.
    »Jan, du blinde Pest, vielleicht singst du uns mal ein Lied!«, scherzte Jascha unter dem Lachen der Versammelten. »Unser Heldentenor hat seine Stimme zu Hause vergessen.«
    Jan schoss einen pfeilschnellen Blick aus seinem einzigen Auge und antwortete gar nichts. Sie tranken noch ein Glas, dann schlug Jascha vor, Siebzehn und vier zu spielen. Sie zogen in das entsprechende Zimmer um und schlossen das Fenster. Jan zog ein zerfleddertes Deck Karten aus der Tasche.
    »Nein, Blinder«, sagte Jascha, »wir nehmen andere Karten.«
    Beril Kanfer, den man zum Kellner geschickt hatte, kam kurz darauf mit neuen Karten zurück. Sie spielten zu viert: Jan, der Tenor, Jascha und Rost. Die Übrigen setzten sich dahinter und schauten zu. Diesmal verlor Jan. Er teilte schweigend die Karten aus. Hin und wieder blickte er böse zu Rost hinüber, vor dem sich die Münzen immer höher stapelten.
    »Wie viel ist noch in der Bank«, Rost zählte, »siebzehn, einundzwanzig – alles! Karte!« Jan gab ihm eine Zehn. »Genug!« Er zog selbst eine Karte, bekam eine Acht und setzte. Er hatte dreiundzwanzig Punkte, doch Rost hatte mit seinen drei Karten nur vierzehn und gewann. Dann strich er seine Münzen ein und steckte sie in die Tasche.
    »Spielst du nicht weiter?«, fragte Jan.
    Nein, er

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