Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
Vom Netzwerk:
Lippen an den Brustknospen und meinte, in eben diesem Augenblick zu sterben, aber Gertrud Stift drängte seinen Kopf zurück und flüsterte ihm Mund an Mund zu: »Zieh dich aus, mein Schatz, mein großer Junge.« Sie trat ans offene Fenster und zog den schweren Vorhang vor. Dann streckte sie sich auf dem Bett aus. Mit fliegenden Händen schälte Rost sich aus seinen Kleidern und warf sie, wo er gerade stand, auf den Teppich, und dann schritt er nackt und prächtig der wartenden Frau entgegen.
    »Lass mich ein Auge auf dich werfen, mein Liebling«, flüsterte sie glühend, »du bist schön wie ein junger Gott!« Sie zog ihn zu sich heran. Ein weicher, warmer, bebender Frauenkörper schmiegte sich an ihn, und darein raffte sich die ganze große Welt vom Anbeginn ihrer Schöpfung bis hin zu ihrem Ende samt ihren Gesetzen von Leben und Tod. Sie umfingen sich zärtlich und rissen und bissen und traten einander, als wollten sie sich vernichten in der körperlichen Vereinigung, bis ihre brennenden Leiber sich ineinanderschraubten, in jenem letzten Zucken, das etwas vom Todeskrampf an sich hat. Und wieder streichelten sie einander, Gesicht an Gesicht. Angenehme Mattigkeit durchsickerte ihre ausgelaugten Glieder, sie lächelten sich zu und weideten die Augen an ihren schönen Körpern.
    Gertrud ließ ihre Finger über seinen langen, muskulösen Körper gleiten. »Wie seltsam«, sagte sie kurz darauf, »vor zwei Tagen haben wir uns noch gar nicht gekannt. Ich wusste nichts von deiner Existenz auf Erden und du nichts von meiner, und wie sehr lieben wir uns jetzt. Das ist für mich doch ein unwirklicher Traum.« Sie schmiegte sich an ihn, presste die vollen Brüste, die wie eigenständige Lebewesen vibrierten, an seinen Leib. »Das einzige Glück, der Inbegriff allen Erlebens, soll Sünde sein? Ein Narr, wer das erfunden hat. Ein Tor, ein Irrer! Eine Sünde! Das Einzige, was dem Menschen auf Erden bleibt – eine Sünde? Ein Neider ist das gewesen,ein Verschnittener! Ich nehme diese Sünde mit Vergnügen auf mich und bin bereit, mein Leben lang dafür zu büßen.«
    Eine ferne Standuhr gab drei rhythmische Schläge ab, die Nacht war lau und stumm, strömte dort unhörbar durch die schläfrige Straße hinter den Fenstern. Die elektrische Birne goss stilles, gelbes Licht von der Decke, und zwei glühende Körper schimmerten weiß auf dem Bett, dessen weinrote Steppdecke sich am Fußende türmte und die Füße des Paars bis zu den Fesseln bedeckte.
    »Erzähl mir etwas über dein Leben, Geliebter, über deine Kindheit. Ich liebe deine Mutter, ohne sie zu kennen, weil sie dich geboren hat, mein Schatz, und ich liebe deinen Vater.«
    »Mein Vater ist Lehrer. Hat eine klare Stirn und kluge Augen. Weiß viel von der Welt und verrät nur wenig. Und meine Mutter ist groß, blond und schön. Meine jüngere Schwester sieht ihr ähnlich. Meine Mutter hat noch keine grauen Haare und ist immer von Liebe erfüllt. Sie liebt meinen Vater, als kenne sie ihn erst seit einer Woche.« Er erzählte seiner Geliebten noch von dem großen Fluss, der seine kleine Stadt durchfließt: »Im Winter friert er zu, und die jungen Burschen fahren Schlittschuh darauf, der Schnee türmt sich einen Meter hoch, und die Bauern tragen Stiefel – Männer, Frauen und Kinder.«
    »Warum bist du von zu Hause weggegangen?«
    »Ich wollte die Welt und die Menschen kennenlernen.«
    Sie lagen beieinander, liebten sich und ermüdeten und schliefen ein Stündchen und erwachten wieder, bis der Tag anbrach und die Fenster blau und blauer wurden. Gertrud Stift setzte sich auf.
    »Ich muss dich verlassen. Wie gern würde ich bei dir bleiben, aber das Leben hat andere Regeln. Ruh dich aus und sammle neue Kräfte, mein Ein und Alles. Bis zum Abend!«Sie küsste ihn auf den Mund und stand auf, zog den Morgenrock über und ging leise aus dem Zimmer. Rost verfiel augenblicklich in einen schweren Schlaf, in dem der blinde Jan auftauchte, weinte und flehte und dann wieder mit seinem einzigen Auge wie mit einem großen Messer drohte, hin und wieder eine andere Gestalt annahm, sich in Gertrud Stift verwandelte, die splitternackt war, abgesehen von einem komischen Hut auf dem Kopf, mit einer langen Ansteckfeder, die ihn an Brust und Mund kitzelte und ihn wild auflachen ließ.
    Bei einem solchen Lachanfall wachte er auf. Seine Uhr zeigte halb eins. Die Sonne drang kaum durch den schweren Vorhang, und im Zimmer herrschte schläfriges Halbdunkel. Ihm kam die Erinnerung an die vergangene

Weitere Kostenlose Bücher