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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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allein mit ihrem verrücktspielenden Blut, rettungslos. Eine Frau bleibt immer mit leeren Händen zurück. Alles entgleitet letzten Endes ihrem Griff, und dabei braucht sie lebendige Realität. Sie mehr als der Mann, weil sie immer einsam und allein ist. Einsam bis zum Tod. Und er, der Ehemann, schnarcht neben ihr, erst zaghaft, dann kühner, freier, mit der Seelenruhe körperlicher Befriedigung. In solchen Momenten wurden in ihrem Innern die Samen des Hasses auf ihn gesät, Hass verquickt mit Geringschätzung, und der wuchs bei der Wiederkehr solcher Situationen. Sie hätte ihn umbringen oder laut schreien können, hätte in ihrer Körperpein um Hilfe rufen oder aufstehen und rauslaufen mögen auf die nächtlichen Straßen, um jeden beliebigen Passanten anzugehen.
    Die meisten Frauen, wusste Gertrud, waren wie sie, ständig begehrend, immer unbefriedigt, einige rebellierten, andere resignierten, fügten sich notgedrungen in ihre Lage. Später schlief sie dann ebenfalls ein, erwachte am Morgen jedoch mit Kopfschmerzen aus unruhigem, ungesundem Schlaf, und der Groll auf ihren Mann lastete ihr wie ein dicker Kloß auf der Seele, gab dem Tag und ihrer Stimmung eine eigene Färbung. Unter dem Tarnmantel äußerer Ruhe war sie innerlich ständig aufgewühlt. Sie geriet schnell in Rage, brauste auf, und ihr unterdrückter Zorn entlud sich ohne ersichtlichen Grund, wegen unwichtiger, wertloser, banaler Dinge. Derlei Reaktionen kamen ihr hinterherselbst lächerlich vor, aber sie konnte sie nicht unterdrücken. Sie brachen aus ihr hervor wie die glühende Lava eines Vulkanausbruchs. Als ihr Schwager abgereist war, hatte sie ihrem Mann die Einwilligung abgerungen, das Zimmer zu vermieten, obwohl kein materieller Grund dafür bestand, in der unbestimmten Hoffnung, es würde sich ein anständiger Mieter finden. Sie hatte nicht vor, es an jeden X-Beliebigen zu vermieten. Die Zeit eilte nicht, und sie hatte so einige Anwärter mit allerlei Ausreden abgewiesen, aber Rost hatte ihr auf den ersten Blick zugesagt.
    Rost lag wieder auf der Seite, mit dem Gesicht zu ihr. »Du grübelst heute viel.«
    »Hast du Angst?«
    »Nein. Warum?«
    »Ich bin glücklich. Überglücklich. Mein Tagesablauf sieht jetzt ganz anders aus. Ich bin voll festlicher, beglückender Erwartung. Kennst du Tage, an denen du meinst, die Sonne scheine nur für dich? Dir zu Ehren und zur Lust?« Sie verstummte abrupt und schien zu horchen. Kurz darauf sagte sie: »Hast du nichts gehört?«
    »Wo?«
    »Ich glaubte, Schritte auf dem Gang zu hören.«
    Beide lagen jetzt reglos, lauschten gen Flur, konnten jedoch nichts hören.
    »Vielleicht ist es Mizi, das Dienstmädchen. Und vielleicht scheint es mir nur so.«
    Trotzdem stand Rost auf und ging nachsehen. Nachdem er das Licht in seinem Zimmer ausgeschaltet hatte, öffnete er vorsichtig die Tür, trat auf den Flur und schaltete das Licht an. In dem Moment meinte er, eine hohe, weiße Gestalt, wie eine unwirkliche Erscheinung, verschwände in einer der Türen in derselben Wand, am Ende des langen Korridors. Er unterdrückte ein überraschtes »Ah!« und tat so, als suche erdie Toilette auf. Man musste also auf einen kleinen Zwischenfall gefasst sein, die Kleine war nicht ohne. Er kehrte ins Zimmer zurück und legte sich neben Gertrud.
    »Ich habe nichts gesehen«, antwortete er auf ihren fragenden Blick. Und nach kurzem Schweigen: »Wie alt ist Erna?«
    »Fünfzehneinhalb.«
    »Ah, sie ist gut entwickelt. Über ihr Alter hinaus.«
    »In unserer Familie reifen die Töchter früh heran. Ich habe schon mit siebzehn geheiratet.« Sie presste sich fest an ihn, als wollte sie den Altersunterschied zwischen ihnen auslöschen und sich ihm mit dem reinen Feuer ihrer Jugend hingeben, mit der Blindheit der ersten unbedarften Leidenschaft eines gerade erst erwachsen gewordenen jungen Mädchens. Aber die Nacht ging bereits zu Ende. Ein grünbläulicher Schimmer leuchtete in der kühlen Frische draußen auf. Es wurde Zeit, Abschied zu nehmen, man konnte die Nacht nicht endlos verlängern. Das frühmorgendliche Quietschen schwerer Fuhrwerke hallte bereits aus benachbarten Straßen herüber. Gertrud stand auf und zog den Pyjama an. Leise öffnete sie die Tür, lauschte angestrengt in den Flur und schlüpfte dann verstohlen hinaus. Rost löschte das Licht und schlief sofort ein.

5
    Am Nachmittag suchte Rost erneut einige Ladengeschäfte in den Hauptstraßen der Inneren Stadt auf, um seine Garderobe zu vervollständigen. Die Einkäufe

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