Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
Vom Netzwerk:
als er das Licht anschaltete, schreckte sie mit dem Gefühl auf, hellwach zu sein, eben erst die Augen zugetan zu haben, genau in dem Moment, als gelbliches Licht das Zimmer überflutete.
    »Ich habe auf dich gewartet. Die Nacht ist kurz. Das ganzeLeben ist kurz«, sagte sie langsam, mit glühender Stimme, die seltsam gedämpft klang, wie in Watte gepackt. Rost begann sich auszuziehen. Dann legte er sich zu ihr. Ihr Leib überzog ihn mit verzehrendem Feuer, er meinte unter ihren Liebkosungen zu sterben. Ihre Begierde hatte jetzt etwas vom Schmerz der Verzweiflung, vom Grauen des nahen Abschieds, von dem Bemühen, diesen Augenblick anzuhalten, in alle Ewigkeit auszudehnen.
    »Du bist traurig heute.«
    »Ich bin glücklich. Vielleicht auch ein bisschen traurig, nur ein klein wenig. Ich bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Der ganze Tag war öde. Mein Körper spürte ständig deine Berührung, und du warst nicht da. Er schrie in den höchsten Tönen nach dir, ohne erhört zu werden. Und da kam mir der törichte Verdacht, ich würde dich vielleicht nie wiedersehen, und dieser Verdacht bauschte sich immer mehr auf, und Todeseinsamkeit befiel mich. Vielleicht ist es nicht gut, dich so sehr zu lieben.«
    »Vielleicht ist es ungut. Der Mensch muss sich einen freien Winkel im Innern bewahren, einen Zufluchtsort in der Not, an den er sich flüchten kann.«
    »Wenn eine Frau wie ich liebt, dann doch restlos, mit ihrer ganzen Seele und all ihrem Vermögen.«
    Rost zog mit ausgestrecktem Arm den kleinen Rauchtisch ans Bett. Zündete eine Zigarette an und steckte sie ihr zwischen die vollen geröteten Lippen.
    Gertrud tat einen Zug und gab sie ihm zurück. Sie konnte nicht rauchen. Die Nacht weilte reglos bei ihnen und zog reglos davon. Die Stille war hörbar. Hoch im gelblichen Raum schwebten blaugraue Rauchfäden und -zungen wie ein luftiger, durchsichtiger Schal. Einen Augenblick verharrten sie dort, dann drängten sie erschrocken zum offenen Fenster wie von unsichtbarer Hand gezogen. Danach durchbohrte das matte Tuten einer Lokomotive die Stille, verstummteabrupt und kam nicht wieder. Vom Südbahnhof, vermutete Rost und drückte den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus. Eigentlich konnte er hochzufrieden sein. Er hatte genügend Geld, hatte eine Geliebte mit glühendem Leib und schwarzen Haarschlangen, hatte einen Freund, der ihm Zuneigung entgegenbrachte. Außerdem war er mit Vita Karsten verabredet, die kluge, schelmische Augen, einen temperamentvollen, kapriziösen Mund und eine fabelhafte Figur hatte. Morgen würde er sich mit ihr treffen. Es war gut, achtzehn Jahre alt zu sein, und es war gut, die Frauen zu lieben, sie auch dann zu begehren, wenn sie zu haben waren.
    Rost streichelte die Oberschenkel der Frau, die entblößt neben ihm auf dem Rücken lag. Ihr Körperbau war jungfräulich trotz der üppigen Reife. Nur ein schmaler Streifen Haare, der wie ein Bleistiftstrich vom Nabel über die leichte Wölbung des Bauches abwärts verlief, verriet die überstandene Schwangerschaft und Geburt.
    Rost setzte sich auf. Betrachtete neugierig ihren Leib. Jedes ihrer Glieder war von prickelndem Leben erfüllt, jedes hatte seine eigene Seele, und im Licht- und Schattenspiel traten sie noch markanter hervor, umrahmt von den zur Seite geglittenen Schößen des blauen Pyjamas und der weinroten Decke zu ihren Füßen. Rost dachte sich eine schwarze Katze hinzu, um das schimmernde Weiß ihres Körpers noch stärker zu betonen, denn es war ihm ein ähnliches Bild von Manet eingefallen, von dem er einmal eine Reproduktion gesehen hatte. Ein Weilchen musterte er sie so, und in dieser Begutachtung lag schon eine Art von Eroberung.
    Gertrud lächelte ihn zufrieden und ergeben an. Sie spürte seine Blicke wie leichte Liebkosungen seiner warmen Hände. Ihre Traurigkeit war restlos verflogen. Sie war glücklich, so von seinen Augen gemustert zu werden. Empfand ein stilles und zartes Glück, bewahrte es im Herzen und gabsich ganz und gar seinen Blicken hin. Hütete sich, diesen einzigartigen Augenblick vollen und ruhigen Glücks durch ein Wort oder eine Bewegung zu beenden. Es war eine neue, elementare Situation, und ihr kamen keine vergleichbaren Situationen in den Sinn. Dann dachte sie an ihren Mann, der immer gleich einschlief, sie allein ließ, während sie loderte, bis zur Selbsttötung erregt, das Blut aufgewühlt, siedend, das Herz zum Zerbersten schlagend. Dann verblieb sie in einem leeren Abgrund, einer öden Wüste, einsam und

Weitere Kostenlose Bücher