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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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verstreut. Tänzerinnen schwenkten ihre nackten Bäuche und Hüften zwischen den Tischen der Gäste.
    Hoch von der Bühne ergoss sich eine Kaskade prickelnder Klänge. Sänger schmetterten »Püppchen, du bist mein Augenstern« und andere Schlager, begleitet von anzüglichen Gesten.
    Kellner schenkten geschäftig Champagner aus, angejahrte Herren mit dicken Zigarren in den feisten Gesichtern schäkerten mit zwielichtigen jungen Damen, die nur auf ihr Geld aus waren, und ein umwerfender, stickiger Geruch von Tabak, Parfüm, Getränken und Schweiß hing im Saal. Es war heiß trotz der ständig kreisenden Ventilatoren. Eine unechte, exaltierte, angestrengte Fröhlichkeit, die nicht aus voller Seele kam, sondern unnatürlich und gekünstelt war, stach ins Auge wie zumeist in diesen Etablissements.
    Rost trank seinen Champagner und knabberte Salzmandeln. Das schale Gefühl von vorher wollte nicht weichen. Er betrachtete die Musiker mit ihren von grellem Licht und Übernächtigung gelblich-blassen Gesichtern und dachte: Die amüsieren sich sicher nicht, die nicht.
    »Ist das alles?«, fragte er Dean mit ausholender Geste. »Mehr gibt’s nicht?«
    Der andere blickte ihn wortlos an und sagte schließlich:»Ein wenig Vergessen, das für Geld käuflich ist. Wer Lust mitbringt, findet sie auch hier.«
    Am Nebentisch saß ein lustiger Trupp, bestehend aus zwei Männern und drei jungen Frauen. Eine der Frauen, eine schlanke Schwarzhaarige mit schalkhaften Augen, warf Rost häufig Blicke zu, was ihm nicht entging. Schließlich stand sie auf, entschuldigte sich bei ihren Tischgenossen, sie sei gleich zurück, und strebte zum Ausgang. Rost wartete ein paar Minuten, stand dann ebenfalls auf und ging in die Vorhalle. Den Rücken der Tür zugewandt, stand sie vor dem Spiegel, in dem sich der ganze Raum überblicken ließ, und puderte sich das Gesicht. In der Vorhalle verweilten noch ein paar Männer und Frauen. Rost schlängelte sich zwischen ihnen hindurch und hob das Taschentuch auf, das ihr gerade aus der Hand gerutscht und zu Boden gefallen war.
    »Bitte schön, meine Dame.«
    Mit ihren feinen Fingerspitzen nahm sie das Taschentuch und steckte es in ihre Handtasche. Dann dankte sie ihm mit einem bezaubernden Lächeln.
    »Könnten wir uns morgen treffen?«, wagte Rost zu fragen.
    »Wir beide? Warum?«
    »Nur so, zu einer kleinen Unterhaltung. Zu einem Gespräch über die politische Lage in Europa und allgemein.«
    »Und Sie meinen, Sie könnten mir dazu was Neues berichten«, lachte die junge Frau.
    »Ich hoffe es. Versuchen wir es um fünf Uhr im Café Graben.«
    »Ausgezeichnet.«
    »Kennen Sie zufällig die Gruppe da neben uns?«, forschte Rost, als er an seinen Platz zurückgekehrt war. Dean kannte sie nicht. Er wusste nur, dass die Schwarzhaarige eine Tänzerin war, Vita Karsten. Rost rief den Kellner und zahlte. Beim Aufstehen wechselte er einen bedeutungsvollen Blickmit der Schwarzhaarigen. Dean brachte ihn mit seiner Droschke bis vor die Haustür.
    Als er das Licht in seinem Zimmer anschaltete, hob Gertrud den Kopf und stützte sich im Bett auf einen Ellbogen. Die Jacke des blauen Seidenpyjamas war nicht zugeknöpft. Eine volle Brust lag entblößt und auch ein weißes Stückchen Bauch bis zur dunklen Rundung, denn Zudecke und Pyjamahose waren ihr bis zu den Oberschenkeln herabgerutscht. Halb liegend starrte sie vor sich hin, der Blick düster lodernd, fieberglänzend. Rost trat bekleidet zu ihr und küsste sie auf den Mund, auf die Augen, auf die Nippel, auf den Bauch. Ihr glatter Körper atmete die Wärme des Schlafs. Seine Küsse und Liebkosungen linderten nach und nach die Traurigkeit, die sich bei ihr eingenistet hatte und nach langem, vergeblichem Warten zu resigniertem Verzicht angewachsen war. Es war die extreme Einsamkeit einer alleingelassenen Frau, deren glühender Körper sich bis zum Bersten nach dem begehrten Manne reckte – aber vergebens.
    An die zweieinhalb Stunden hatte sie hier gelegen. Jeden kleinsten Laut von der schlafenden Straße drunten hatten ihre angespannten, hellwachen Sinne wahrgenommen. Aufmerksam hatte sie auf jeden flüchtigen Ton, jeden Schritt draußen oder im Treppenhaus, jedes Katzenjaulen, jedes trunkene Grölen, jedes ferne Tramquietschen gelauscht – aber jedes Mal war er es nicht gewesen. Schließlich war sie in nervösen, unruhigen, hellhörigen Schlaf, so löchrig wie ein Sieb, verfallen, den jedes Geräusch störte und seiner erholsamen und beruhigenden Wirkung beraubte. Jetzt,

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