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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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ließ er sich nach Hause schicken. Dann ging er ins Café Graben, wo er eine Viertelstunde vor der vereinbarten Zeit eintraf. Er nahm in Fensternähe Platz und konnte seine Augen an dem herrlichen Tag weiden, der auf der breiten Straße vorüberzog,und an den vielen Passanten, die er nur von der Taille aufwärts sah. Er aß Kuchen und Käseteilchen, rauchte aromatische Zigaretten und war guter Laune. Der verabredete Zeitpunkt war schon um zwanzig Minuten überschritten, aber das machte gar nichts. Wenn sie ihn zum Narren gehalten hatte – na gut. Er hatte heute keine Lust, sich wegen derlei Kleinigkeiten zu Tode zu grämen. Ganz im Gegenteil, er lebte heute besonders gern, und kein geplatztes Rendezvous würde ihm die gute Laune verderben. Aber sie würde kommen, sein Herz sagte es ihm.
    Und sie kam tatsächlich. Er beobachtete gerade einen Kellner, dessen runder Kahlkopf an einen Eunuchen erinnerte und dessen blanke Glatze zehn dünne, farblose Haare von Ohr zu Ohr überbrückten, während sein blitzsauberes Gesicht pausenlos freundlich in die Gegend lächelte. Und da kam sie auch schon herein im schneeweißen Mantel mit ebenso schneeweißem, breitkrempigem Hut. Charmant lächelnd begrüßte sie ihn einfach wie einen alten Freund. Als sie ihm gegenübersaß, sagte Rost bewundernd: »Lassen Sie mich gleich vorausschicken, dass Ihnen Weiß hervorragend steht. Auf dieser Basis können wir weitermachen.«
    »Von solchen Komplimenten kann man nie genug bekommen«, kicherte Vita Karsten. Dann nippte sie graziös an ihrer heißen Schokolade, hielt die Tasse dabei mit Daumen und Zeigefinger ihrer blassen, feingliedrigen Rechten. Ihre Gebärden hatten etwas Unwirkliches, vielleicht unbewusst Theatralisches, als zelebriere sie beim Trinken einen mystischen Götterkult. Sie puderte sich ein wenig das Gesicht und zündete sich eine Zigarette an.
    »Und wo haben Sie Ihre schwarzen Augen gekauft?«, fragte Rost scherzhaft.
    »Ich kann mich nicht entsinnen, in der Mariahilfer Straße oder in Spanien.«
    »Jedenfalls haben Sie einen ausgezeichneten Geschmack.«
    »Nicht wahr?«, scherzte die junge Frau. Und kurz darauf: »Aber auch Sie sind kein waschechter Wiener.«
    »Ich bedaure, hatte nicht die Ehre. Bin auch kein echter Russe.«
    Er winkte der Blumenverkäuferin, die die Tische abklapperte, und erstand einen Strauß Veilchen. Vita sog kurz den zarten Duft ein und stellte sie dann in ein Wasserglas auf dem Nickeltablett. Feiner Kaffee- und Schokoladenduft waberte im Raum, vermischt mit dem Geruch erlesenen Tabaks und der frischen Druckerschwärze der Nachmittagszeitungen, die eben eintrafen. Rost lehnte sich im Stuhl zurück und betrachtete seine Partnerin. Sie erntete gerade den freundlichen Gruß eines eintretenden Offiziers. Ihm huschte der beruhigende Gedanke durch den Kopf, dass er jetzt ein Bankguthaben von achtzehntausend Kronen besaß und dass er von diesem Betrag, auch wenn er nicht durch unverhoffte Gewinne aufgebessert werden sollte, einige Zeit sorglos würde leben können, ohne sich irgendwelche Vergnügen versagen zu müssen. Der Offizier, der sie gegrüßt hatte, war sicher ein entfernter Bekannter, ein Tröpfchen ihres ihm unbekannten Daseins, eines vollen und vielgestaltigen Lebens, zusammengesetzt aus zahlreichen geringwertigen und vielleicht auch wichtigen Dingen und bevölkert von Menschen aller Art. Er wusste nichts von all dem. Für ihn war sie erst gestern geboren, so wie sie war, fix und fertig. Ihrem bisherigen Dasein konnte er nach Belieben die Bedeutung absprechen. Für ihn hatte es gestern angefangen, nicht früher.
    Rost schlug eine Droschkenfahrt vor. Kurz darauf trabten die beiden Pferde durch die breite, geschwungene, von zwei Baumreihen gesäumte Hauptallee dem fernen Horizont entgegen, der sich schon mit leichtem Abendrot färbte, das sich wiederum zu einem schmalen Spalt unter dem Blättergeflechtder Wipfel verengte. Beiderseits der Allee verliefen Streifen loser Erde wie lange Bänder: die Reitwege. Sie schluckten das Hufgetrappel wie weiche Teppiche. Reiter und Reiterinnen flitzten hin und her. So fuhren sie sanft schwankend dem Abend entgegen, vor sich den breiten Rücken des Kutschers, unbeweglich, wie in Erz gegossen. Ein leichter Wind streichelte ihre Gesichter. Die Kaffeehäuser waren gut besetzt. Weiße, schwarze, rote, blaue, gelbe und rosa Farbtupfer zwischen blühenden Bäumen. Weiden grünten an den Wegrändern und ergrauten gen Abend. Fröhliche Musikklänge schlugen an den

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