Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
unbewusst log. Da ihre früheren Gefühle für ihren Ehemann sich im Lauf der Zeit gewandelt hatten, konnte sie sie nicht mehr in alter Form hervorzaubern, sie von Neuem empfinden. Und da sie sich diese Gefühle jetzt nicht mehr vorstellen konnte, neigte sie dazu, sie auch für die Vergangenheit abzuleugnen. Es war so ähnlich, wie wenn man einen vor Jahren selbst geschrieben Brief wiederliest und dabei das Gefühl hat, er stamme von einem Fremden und nicht aus der eigenen Feder.
Rost verfolgte ihre Gebärden, als sie an ihrem Kaffee nippte, der unterdessen abgekühlt war. Sie spürte seinen Blick und himmelte ihn an.
»Trinken wir einen Cognac zusammen, möchtest du?«
Als der Kellner den Cognac gebracht hatte, nahm sie einenSchluck aus dem bauchigen Glas mit dem hohen, schlanken Stiel und reichte es ihm weiter zum Trinken. »Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, du wärst mein Sohn, meine eigene Leibesfrucht, und das erhöht das Glück bis zum Wahnsinn.« Kurz danach sagte sie: »Wir gehen gleich nach Hause, nicht wahr?«
Sie verließen das Kaffeehaus. Eine Weile schlenderten sie durch schlafende Gassen, Gertud hing mit dem vollen Gewicht ihres glühenden Körpers an seinem Arm, weit hinter ihnen das ferne Rauschen der Stadt, schwach, zerflossen, unwirklich. Gertruds Erregung sprang auf Rost über. Ein Zucken durchlief seine Schenkel. Er blieb stehen und küsste sie auf offener Straße auf den Mund, spürte ihre weichen Lippen, ihre Zungenspitze, die durch seine Zahnreihen an seinen trockenen Gaumen drang, und einen leichten Schwindel im Kopf. Danach beschleunigten sie ihre Schritte.
7
Gleich nach dem Essen teilte ihre Mutter mit, sie werde noch einen kleinen Spaziergang machen. Erna blieb einige Zeit reglos auf ihrem Platz im Esszimmer sitzen. Mizi deckte den Tisch ab, räumte auf, und Erna starrte leer vor sich hin. Sie erriet, wo ihre Mutter hinging, wusste es fast mit Sicherheit. Es war ein Rendezvous mit ihm, zweifellos. Sie würden sich am vereinbarten Ort treffen, und er würde sie wieder und wieder küssen – ah, wie er sie anekelte!
Das elektrische Licht schien gelblich matt. Der schwere Vorhang vorm Fenster wehte leicht, wenn Mizi die Tür gegenüber öffnete. Mizi hatte farbloses Haar und breite Schenkel, und im Vorbeigehen schwankte ihr Hintern wie eine schwere Maschine. Im Salon knarrte der Boden unter ihren Schritten.
»Sag mal, Mizi, hast du einen Liebhaber?«
»Das ist doch Fritzl, gnädiges Fräulein, Fritzl, der Schlosser.«
Erna legte eine kurze Pause ein. »Und küsst er dich viel?«
»So wie man sich liebt.«
»Wie Mann und Frau?«
»Fritzl wird mich zur Frau nehmen, später.«
»Hör mal, Mizi, du musst mir alles erzählen. Verstehst du, alles.«
»Das Fräulein ist noch zu jung.«
»Ich bin nicht zu jung. Ich habe auch schon einen Liebhaber, das versichere ich dir«, log Erna, »der hat mich auch schon geküsst.«
Mizi stand am Tisch, die roten Ellbogen aufgestützt. Ihre vollen Brüste spannten ihre helle, schwarz gepunktete Bluse schier zum Platzen.
»Und ihr schlaft nackt, splitternackt?«
»Manchmal auch nackt. Aber Sie sind sehr neugierig, Fräulein«, lachte Mizi.
»Und ist das angenehm, so zu schlafen?«, forschte Erna weiter, hochrot im Gesicht.
»Sehr angenehm. Am Anfang tut es weh, aber dann nicht mehr.«
»Und er streichelt dich so? Überall?« Erna griff über den Tisch und berührte Mizis Brust. Mizi fuhr lachend zurück.
»Sag mir bitte, Mizi, schau mich gut an, bin ich schön?«
»Das Fräulein ist sehr schön.«
»Komm her«, Erna stand auf, »schau von allen Seiten.«
»Sie sind sehr schön, da kann man nichts sagen«, bestimmte Mizi fachmännisch, »ich wäre gern auch so schön wie Sie, Fräulein.«
»Aber hier, fühl mal«, sie nahm die Hand des Dienstmädchens und legte sie sich auf die Brust, »da ist sehr wenig.«
»Die wächst noch.«
»Meinst du, ich könnte Gefallen finden? Sag mir die Wahrheit.«
»Da bin ich sicher. Alle Männer werden verrückt sein nach Ihnen.«
»Siehst du, Mizi, und ich meine immer, ich wäre hässlich.«
»Sie hässlich? Mit diesen Augen und diesem Mund und dieser Größe hässlich? Dass ich nicht lache! Sie sind eine echte Schönheit, Fräulein.«
»Aber wer von uns beiden ist schöner, Mutter oder ich?«
»Das lässt sich nicht vergleichen. Die Dame ist schön als reife Frau, das ist was ganz anderes. Und das Fräulein ist schön als junges Mädchen.«
»Du bist ein nettes Mädchen, Mizi. Warte einen
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