Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Moment, und komm dann in mein Zimmer. Ich möchte dich noch vieles fragen.«
»Ja, ich muss mich ein bisschen beeilen. Das Geschirr muss noch gespült werden.«
Erna ging auf ihr Zimmer. Es war mittelgroß, länglich, weiß möbliert. Im Stehen zog sie fieberhaft die Kleider aus. Beim Hemd angekommen, zögerte sie kurz und streifte es dann ebenfalls ab. Eine leichte Gänsehaut überlief sie, obwohl es nicht kalt war. Sie nahm den kleinen Spiegel von der Wand überm Waschbecken und begann, ihren Körper Stück für Stück aufmerksam zu begutachten. Sie hatte ihn sich schon früher oft ganz oder in Teilen besehen, aber nie hatte sie ihm so viel Beachtung geschenkt. Er war immer etwas Selbstverständliches gewesen, das keiner besonderen Prüfung bedurfte. Jeder Mensch hatte einen Körper, das verstand sich von selbst. Aber heute war das anders. Die Betrachtung ihres Körpers weckte ein eigenartiges Gefühl, angenehm und beklemmend zugleich. Sie musterte ihn, als sei es nicht ihr eigener Körper, betrachtete ihn aus der Sicht eines Fremden.Ja, sie hatte das vage Gefühl, ein Fremder würde ihre Blöße studieren, sie spürte fremde Blicke ihre Haut streicheln, war voller Scham, betrachtete sich aber doch ihre kleinen, apfelrunden Brüste im Spiegel, legte ihn nieder und nahm sie in die Hände, als wolle sie ihr Gewicht abwägen, und hob dann wieder den Spiegel auf. Dabei liefen ihr Schauder über den Rücken.
Dann setzte sie sich auf die Bettkante und bespiegelte ihren glatten Bauch, den das schwarze Haar in einer scharfen, waagrechten Linie begrenzte. Sie streichelte zärtlich diesen warmen Bauch und empfand ihre Hand als fremd. Sie bemühte sich, ihren Blick in jenen intimen Ort eindringen zu lassen, der die Quelle des Lebens ist, drehte den Spiegel in alle Richtungen, wunderte sich über sich selbst, schämte sich und ließ doch nicht ab. Waren alle Frauen so? Genau so? Wenn ja, waren sie vielleicht unschön an dieser Stelle, oder vielleicht waren nicht alle gleich? Und ihre Schenkel, die waren überhaupt nicht schön, musste sie zugeben. Mutters waren schöner, rund, glatt, sie hatte ihre Mutter ja schon bei der Körperwäsche gesehen.
Sie hängte den Spiegel wieder auf, dann öffnete sie die Tür einen Spalt und rief nach Mizi.
Die schrie aus der Küche: »Sofort! Ich bin gleich fertig.«
In der ganzen Wohnung war es still. Nur abgehacktes, fernes Geschirrklappern klang gelegentlich von der Küche herüber. Erna verharrte eine Weile im Türspalt und blickte geistesabwesend in den dämmrigen, stillen Korridor. Unter der Küchentür gegenüber leuchtete matt ein schmaler, schräger Lichtstreifen hervor. Erna spürte ihren eigenen glühenden Atem. Mutter kommt nicht zurück. Kommt nicht zurück. Sie war von krankhafter Anspannung erfüllt, wartete auf etwas, ohne zu wissen, worauf. Mutter kommt nicht zurück, und es ist sicher schon spät. Erna ging wieder ins Zimmer, ohne die Tür zu schließen. Der kleine Wecker auf ihrem mitBüchern und Schreibsachen übersäten Tisch zeigte Viertel nach zehn. Sie setzte sich aufs Bett, ließ die Beine baumeln. Draußen war jemand stehengeblieben und sang mit alter, trunkener Stimme. Dann schwang er eine kategorische Rede gegen die Obrigkeit, genau unterm Fenster. Er brabbelte ein paar verworrene, unzusammenhängende Sätze und endete plötzlich provokativ mit einem volkstümlichen Spruch, der alle Argumente besiegelte. Ein paar Häuser weiter fing er wieder an zu singen.
Jetzt kam Mizi ohne die weiße Schürze. Blieb zögernd an der Tür stehen. »Ah, das Fräulein geht schon schlafen!«
Erna stand auf. »Komm her, Mizi, komm näher ran. Meinst du, ich bin schön? Sag die Wahrheit!«
»Sehr schön. Was für hübsche kleine Brüste! Zum Küssen ohne Unterlass!«
»Und alle Frauen, das heißt, sind alle Frauen so? Genau so?«
»Sicher! Alle sind so! Wissen Sie das nicht? Nur sind manche schöner und manche hässlicher.«
»Genau wie ich?«
»Genau wie Sie.«
»Und du selbst?«
»Auch.«
»Ich will es sehen.«
»Was reden Sie da«, kicherte Mizi, »ich kann doch nicht so auf einmal –«
»Warum denn nicht? Du bist doch ein nettes Mädchen, was macht es dir aus, ich will mal nachsehen.«
»Das ist sehr komisch, wenn gar kein Mann da ist.«
»Küss mich hier, Mizi«, Erna deutete auf ihre Brust.
Mizi blieb einen Moment stehen, schaute sie reglos an, lächelte dumm übers ganze Gesicht. Machte keinen Mucks.
»Küss mich hier«, wiederholte Erna. Nun beugte das
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