Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Ihnen, dass ich ein Zuhause habe?«
»Wenn Sie eine Krone haben möchten, dann bekommen Sie eine, solange Sie nicht das typische Lügenmärchen erzählen. Das kennen wir schon.«
»Was sind Sie denn so hochmütig, Sie Storchenbein? Für den Preis kriegen Sie nichts bei mir.«
»Ich will ja gar nichts, hier bitte!«
»Gib vier, die ganze Nacht für vier.«
»Nehmen Sie, und wenn nicht, gebe ich gar nichts!«
Sie nahm Mischa die Münze ab. »Schaut euch das an, was für eine Großspurigkeit! Und du, mein Kleiner«, wandte sie sich an Rost, »du auch nicht?«
»Ich auch nicht.«
»Hübsche Männer – da kann man nichts sagen! Dann gehenwir eben gemeinsam ein Bier trinken – einverstanden? Ich lade ein. Die schwarze Hedwig ist nicht so kleinlich!«
»Lassen Sie das!«, sagte Mischa und stand auf.
Die Frau rief ihnen noch nach: »Hübsche Burschen! Schnecken und keine Männer!«
Nach einigen Metern sagte Mischa auf Wiedersehen und entfernte sich mit langen Schritten. Rost stieg in einen Fiaker und fuhr nach Hause.
6
Am Nachmittag, gegen fünf Uhr, kam Rost in den sonnenüberfluteten, sattgrünen Volksgarten. Die Militärkapelle spielte flotte Märsche, die die Herzen der Dienstmädchen ringsum sicher für die begehrten Husaren schlagen ließen, und ging dann zu einem Strauß-Walzer über. Geschniegelte Militärs, elegante Damen, einfache Bürger und Müßiggänger lustwandelten. Die herrlichen Blumenrabatten lagen wie teure, handgestickte Teppiche hingebreitet. Ein feiner Hauch vagen, fernen und doch greifbar nahen Glücks lag in der Luft. Rost saß behaglich in einem Lehnstuhl und sah sein ganzes künftiges Leben vor Augen, klar und offen wie ein langer, blühender Sommer, und er, Michael Rost, immer satt und hungrig zugleich, begehrte alles. Er wollte das Leben in allen Schattierungen bis auf den Grund auskosten, mit den guten und schlechten Seiten, die es zu bieten hatte, wollte alle seine Möglichkeiten ausschöpfen. War er denn Herr über seine Charaktereigenschaften? Die waren ihm angeboren, und er hatte nicht die Pflicht, bewusst irgendwelche Verbesserungen daran vorzunehmen. Der Mensch war eine Einheit mit all seinen Facetten, ein absolutes Ganzes, an dem es nichts zu verändern galt.
Rost erkannte von weitem Erna Stift, die in Begleitungeines anderen jungen Mädchens spazieren ging. Die beiden bogen in die Allee, in der er saß. Als sie ihn passierten, blickte er Erna direkt an, ohne sie jedoch zu grüßen. Stellte mit Vergnügen fest, dass die ihm zugewandte Wange errötete. Es dauerte nicht lange, bis sie allein zurückkam. Sie ging geradewegs auf ihn zu. »Sie sind derb!«, schleuderte sie ihm wutrot entgegen.
Rost erhob sich und lächelte: »Ich? Warum?«
»Derb und ungezogen«, fauchte Erna.
»Vielleicht setzen Sie sich einen Augenblick? Ein herrlicher Tag!«
»Meinen Sie etwa, Sie würden mich interessieren?!«
»Nein, das meine ich nicht.«
»Sie sind Luft für mich!«
Eine echte Frau in jeder Hinsicht, dachte Rost.
»Es ist höchst angenehm, Luft für Sie zu sein. Vielleicht nehmen Sie trotzdem Platz? Sie könnten mir das alles im Sitzen sagen, das wäre gemütlicher!«
Einen Moment schien sie zu überlegen, dann sank sie unwillkürlich auf seinen Stuhl. Rost zog sich einen anderen heran.
»Warum behandeln Sie mich so?«
»Wie behandle ich Sie denn?«
»Sie halten mich für ein dummes kleines Mädchen.«
»Ganz gewiss nicht«, erwiderte Rost ernsthaft.
Erna sagte versonnen: »Ich weiß, dass ich ein dummes kleines Mädchen bin, aber das geht keinen was an! Und Sie schon gar nicht!« Rost erwiderte nichts. »Und wenn Sie eine Bekannte vorübergehen sehen, haben Sie sie zu grüßen!«
»Natürlich muss ich sie grüßen.«
»Ich rede nicht von mir. Ich bin keine Bekannte von Ihnen!«
»Ist Ihre Freundin schon gegangen? Ein hübsches Mädchen!«
»Das geht Sie nichts an! Und sie ist auch keineswegs hübsch mit ihrer Stupsnase!«
Eine Blumenverkäuferin kam vorüber. Rost kaufte ein Bund Maiglöckchen und überreichte sie Erna.
»Behalten Sie die Blumen für … für sich! Ich brauche Ihre Blumen nicht!«
»Warum sind Sie eigentlich so böse auf mich? Ich habe Ihnen doch nichts getan.«
»Weil, weil ich Sie nicht ausstehen kann! Und überhaupt! Weil Sie mir zuwider sind!«
»Ist das alles?«
»Sie sind ein widerlicher Mensch! Ein Scheusal!«
»Verzeihen Sie mir, aber Sie sind wirklich ein sehr herziges Mädchen.«
Erna saß schweigend da, den Blick zu Boden gerichtet.
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