Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
ins Bett. Löschte das Licht und lag reglos, ganz auf dort, auf den Flur konzentriert, auf jeden kleinsten Laut. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, und sie kamen herein, beide. Erna hörte die Tür nebenan aufgehen, die des Elternschlafzimmers, und eine zweite, fernere Tür, am anderen Ende des Korridors. Mit angehaltenem Atem horchte sie auf jedes leiseste Geräusch, das verschwommen aus dem Nachbarzimmer drang. Mit hellseherischer Klarheit verfolgte sie die Verrichtungen ihrer Mutter der Reihe nach, sah sie das Kleid ausziehen, das Hemd, das Korsett. Ihr wurde heiß, der Erna, aber sie wagte kein Glied zu rühren.
Dann öffnete sich die Schlafzimmertür, und ihre Mutter ging, schon in Hausschuhen, hinaus. Wenige Minuten später kam sie wieder. Mattes Wassersprudeln und Plätschern klang vom Ende des Flurs herüber. Aus dem Nebenzimmer drang kein Geräusch mehr. Nur dumpfes Schweigen. Sie war also zurückgekehrt und hatte sich hingelegt. Was ging da vor sich? Erna konnte es nicht deuten. Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein, dass ihre Mutter zum zweiten Mal ihr Zimmer betreten hatte. Nichts regte sich dort. Gar nichts.
Erna war schon drauf und dran, die Sache aufzugeben, doch dann schien ihr, die Nebentür täte sich verstohlen auf.Ein leises Quietschen bestätigte ihre Annahme. Mit geschärften Sinnen hörte sie unwirkliche Schritte, die der Flurteppich verschluckte. Noch lange blieb sie reglos liegen, horchte in die Stille. Draußen, in einiger Entfernung, blieb jemand stehen, um eine fröhliche Melodie zu pfeifen. Erna erhob sich lautlos und zog das Nachthemd über. Machte kein Licht. Trat leise auf den Flur und ging ihn langsam entlang, setzte die bloßen Füße vorsichtig auf wie auf Glatteis. Am anderen Ende hielt sie einen Augenblick inne. Diese zwölf Meter waren lang und mühsam gewesen. Erna atmete schwer. Dann machte sie noch einen Schritt und drückte das Ohr an die Tür. Drinnen hörte man Getuschel, hin und wieder unterbrochen von kurzem Auflachen. Zuweilen wurde es still. Danach lebte das Getuschel wieder auf. Ein seltsam schwerer, betörender Hauch wehte von drinnen.
Erna verharrte reglos an der Tür. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und Schauder überliefen sie. Sie war verlassen auf der ganzen Welt, elend und allein in dieser stummen, verschwiegenen Nacht, in der doch eigenartige und unverständliche Dinge geschahen. Sie war so klein und hilfsbedürftig. Ein paarmal bekam sie starke Lust, die Tür aufzumachen und zu stören, das Glück zu verderben, bei dem sie ausgeschlossen blieb. Dort, jenseits der Tür, geschah etwas, das sie nicht kannte, das aber der Einsamkeit ein Ende bereitete. Dort waren sie zu zweit, um die Nacht zu überwinden, dort lachten sie, wussten was mit sich und ihrem Körper anzufangen, gelangten bis an die Grenze ihres Seins. Und hier draußen war die Nacht offen und voll und leer und beängstigend, und ein weicher Körper glühte und grübelte und strebte keinerlei Ziel oder Grenze entgegen. Erna spürte das alles vage, ohne sich dessen bewusst zu werden. Mit einem Schlag erhob sich in ihrem Innern eine Woge des Hasses auf ihre Mutter. Die war ihr jetzt fremd, anders als sonst, und feindlich. Sie betrog nicht nur ihren Ehemann,sondern auch sie, Erna. Und das weckte jetzt ihre Neugier auf ganz andere Weise. Erna begriff, dass sie sie gar nicht richtig gekannt hatte. Ihr kam der beklemmende Gedanke, dass diese Mutter sie nicht wirklich liebte. Weder sie noch ihn, den Vater.
Drinnen lachten sie wieder. Erna machte entschlossen kehrt und tappte zu ihrem Zimmer. Machte Licht und legte sich ins Bett, ohne sich zuzudecken. Ihr war heiß. Eine Weile blieb sie bewegungslos liegen, den Blick auf einen schwarzen Punkt am Karnies gerichtet, vielleicht eine schlafende Fliege. Dann zog sie das Nachthemd aus und fing verzweifelt an, ihren Leib zu streicheln, Brüste, Bauch, Schenkel, wie mit fremden Händen. Ihre Erregung steigerte sich bis zum Irrsinn, als ihre Finger eine bestimmte Stelle an ihrem Körper betasteten, und erreichte dann eine unbekannte Grenze, einen Ausweg. Sie wiederholte diese Gebärden mehrmals, und ihr ganzer Körper erbebte wie im Krampf. Die Vibrationen verebbten nach und nach, und ihre Glieder entspannten sich. Erna löschte das Licht und schlief sofort ein.
8
Friedel Kobler war nicht Ernas intimste Freundin. Ihre wahre Busenfreundin war Gretel Müllner, die seit drei Monaten im Lungensanatorium lag. Friedel brachte sie immer eine gewisse
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