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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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wieder, schlug arrogant die Beine übereinander und zündete sich eine Zigarette an.
    Auf dem Sofa unterhielt sich Friedel unter fröhlichem Gelächter mit Willi Martin und dessen Schwester Susi. Daneben saß ein schweigsamer, verlegener junger Mann, der Erna bei ihrer Ankunft mit dem Namen Fritz Anker vorgestellt worden war. Er schien krampfhaft bemüht, sich klein und unscheinbar zu machen. Hin und wieder lächelte er scheu und verwaist, ohne Bezug zur Unterhaltung. Er war stark kurzsichtig und trug daher dicke Brillengläser. Gelegentlich richtete er sich auf, ohne erkennbaren Grund, rein aus Verlegenheit, und sank auf dem niedrigen Sofa gleich wieder in sich zusammen. Seine Bewegungen waren schwerfällig, ungelenk, wirkten tastend, alt und müde. Sein auffallendster Wesenszug war Mattigkeit. Alles an ihm war gedämpft, schlaff und unbestimmt, nicht mal sein Alter ließ sich genauer schätzen. Er war vermutlich um die achtzehn, hätte aber genauso gut dreißig sein können. Er hatte keinerlei Bartansatz, nichts spross da. Und trotzdem war sein Gesicht alt und pergamenten. Er machte Erna viel Platz, als sie sich neben ihn setzen wollte.
    »Langweilen Sie sich?«, sprach sie ihn an.
    »Langweilen? Nein, an sich langweile ich mich nicht.« Er lächelte und entblößte dabei große, gelbe, unregelmäßige Zähne. Dann fuhr er fort: »Aber man kann fast erkennen, dass das Fräulein Erna nicht … wie soll man sagen, nicht ganz anwesend ist … mit etwas anderem beschäftigt.«
    »Mit etwas anderem beschäftigt?«
    »Das kann man sehen.«
    »Ich bin sicher, dass Sie sich da irren.«
    »Auch möglich. Ich irre mich häufiger.«
    »Dann sollten Sie lieber keine Feststellungen treffen.«
    »Sicher. Ich schweige meistens aus Angst, etwas Dummes zu sagen, und dann sage ich es doch, und es ist noch dümmer als in Gedanken.«
    »Meinen Sie denn, die anderen würden nur Kluges von sich geben?«
    »Mehr als ich jedenfalls.«
    »Stimmt nicht. Die sind einfach nicht so bescheiden.«
    Ihr Blick fiel plötzlich auf seine Hände, die wunderschön waren, schmal und feingliedrig mit sehr langen Fingern, etwas weiblich vielleicht. Die Hände spürten gewissermaßen den Blick und wurden unruhig. Die Finger trommelten nun übernervös auf seine Oberschenkel. Diese Hände brauchte man nur kurz anzuschauen, um sie unauslöschlich im Gedächtnis zu behalten, so wie seine ganze auffallend hässliche Gestalt sich einem unvergesslich einprägte.
    »Ihre Hände … ich bin sicher, solche Hände können niemals Schaden zufügen.«
    »Ich … bin sehr hässlich.«
    »Ja …« Sie warf ihm einen raschen Blick zu, als wolle sie sich der Wahrheit seiner Aussage versichern. »Das heißt, vielleicht sind Sie gar nicht so hässlich. Sie sind nur anders.«
    Willi Martin zog eine Zigarettenschachtel hervor, und die Mädchen übten sich unter viel Gelächter und Grimassenim Rauchen. Friedel überredete Erna, es auch zu probieren, doch nach zwei, drei Zügen bekam sie einen starken Hustenanfall und warf die Zigarette weg, und alle lachten übermütig. Dann spielten sie Gesellschaftsspiele, in deren Verlauf Erna dazu verdonnert wurde, Karl Greiner zu küssen. Johann Wolfgang, in einem zitronengelben Pyjama, lachte im schmalen Türspalt mit, bis Friedel seiner gewahr wurde und ihn energisch ins Bett schickte. Er gehorchte murrend. Willi Martin, mit seinem kurzen, harten Stiernacken, flüsterte Karl Greiner etwas ins Ohr, und beide musterten Erna mit dreistem Blick.
    Erna bekam eine spöttische Anwandlung. »Sie möchten mich also malen?«, wandte sie sich an Greiner.
    »Auch küssen.«
    »Ah!«
    »Das vor allem.«
    »Wünsche, die sich nie erfüllen werden.«
    »Meinen Sie?«
    »Ja, das meine ich. Denken Sie mal!«
    »Ich habe Zeit zu warten«, lachte Greiner selbstsicher.
    »Da müssen Sie sich erst mal einen anderen Kopf auf die Schultern setzen.«
    »Nein, mit ebendiesem Kopf.«
    »Streitet euch nicht, Kinder!«, beschwichtigte Friedel.
    Susi Martin ließ Karl Greiner keinen Moment aus den Augen, hervorquellenden Fischaugen in einem faden, langweiligen Gesicht. Weder schön noch hässlich war sie, ohne jeden Reiz und ohne erkennbares Temperament. Schaute man sie an, kam einem das Leben mit einem Schlag weniger lebenswert vor, wurde eng, begrenzt, sinnentleert und wertlos. Alles was Susi Martin sagte und tat, war unwichtig, regte einen nicht im Geringsten an. Von ihr war keine Überraschung mehr zu erwarten, mit ihr würde man immer auf der Stelle treten,

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