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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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ging zur Neige. Von hinten kam Musik, gestört durch das Rattern der Trams jenseits des Zauns und durch das Großstadtgetriebe. Rost rauchte stumm neben ihr. Ab und zu stieg ihr ein Hauch scharfen, aromatischen Rauchs in die Nase. Wie ein edles Parfüm sog sie ihn ein. Wenn sie größer wäre, würde er sie nicht geringschätzen und verspotten. Dabei will sie nicht, dass er sie geringschätzt, trotz allem! Will es nicht! Friedel ist dumm, dumm, dumm. Warum hat sie sie mitgeschleppt? Etwa weil ihr der Mut gefehlt hätte, sich allein mit ihm zu treffen? Unsinn! Sie hat keine Angst vor ihm.
    In diesem Moment erhob sich Friedel. Sie müsse früh nach Hause, um ihre Freunde zu empfangen. Und Erna solle bitte versuchen zu kommen, sei es zum Abendessen oder später. Ihre Mutter würde es sicher erlauben, es würde lustig werden!
    Als sie gegangen war, blieb Erna eine Weile in sich versunken. Die Außenwelt war gewissermaßen entschwunden, hatte sich in Nichts aufgelöst, und sie steckte in einem Leerraum, sie allein, umschwebt von einem leisen Hauch süßer Trauer, und stille Abenddämmerung senkte sich nieder, streifte sie wie mit leichtem Flügelschlag, und ein Mensch, vielleicht er, befand sich neben ihr. Nicht neben, sondern in ihr, und Fröhlichkeit erfüllte sie plötzlich von einem Endezum andern, und sie begann auf ihrem Sitz zu hüpfen und zu springen, hinein in die hohe abendliche Wiese, die Füße nackt und das Haar zerzaust, und er jagte ihr lachend nach, schnappte sie beinah und verfolgte sie weiter, so glühend und taufrisch, wie sie war, und sie entschlüpfte ihm vor lauter Verlangen.
    Erna hob die Augen. Ja, alles war wie zuvor. Und er, er saß unverändert auf seinem Platz, lächelte sie freundlich an. Wärme und Schutz strahlte er aus. Mit einem Schlag fühlte sie sich ihm ganz nah.
    »Das Leben, ist es sehr traurig?«
    Rost antwortete nicht gleich. Er ließ den Blick auf ihr ruhen, bewunderte ihre Augen, die sehr nahe und doch sehr fern und unerforscht waren. »Das Leben ist so oder anders. Es kommt auf den Menschen an. Und auf seinen Seelenzustand.«
    »Wenn ein Mensch sehr fröhlich ist, wird er ja traurig, ein klein wenig traurig.« Und etwas später sagte sie: »Es ist sicher schön, ein freier Mensch zu sein, alles tun zu dürfen, was das Herz begehrt. Wenn ich mal groß bin …«
    »Wenn Sie mal groß sind?«
    »Die Welt ist groß, und die Sinne können gar nicht genug aufnehmen! Und außerdem wäre ich gern sehr schön.«
    »Sie sind sehr schön.«
    »Wirklich?«
    »Was denn sonst! Sie meinen doch nicht etwa, Sie seien hässlich!«
    »Doch, manchmal meine ich das, und dann werde ich traurig und denke, es wäre gut, in einem Kloster eingesperrt zu sein.«
    Rost lachte laut auf. »Sie im Kloster!«
    Erna lachte mit. »Stimmt nicht. In denke gar nicht ans Kloster. Der Gedanke ist mir nur eben durch den Kopf gehuscht. In Wirklichkeit halte ich nichts von Nonnen.«
    Erna musste nach Hause. Auf dem Ring hielt Rost einen Fiaker an. Er setzte sie am Karlsplatz ab und kehrte ins Stadtzentrum zurück. Erna blieb noch ein Weilchen stehen und verfolgte die fortfahrende Droschke mit den Augen.

9
    Die Koblers bewohnten eine große Wohnung mit vielen Zimmern, alle aufs Schönste möbliert. Sie waren reich. Herr Kobler, fünfzig Jahre alt, mit graumeliertem Kaiserbart, als Sohn mährischer Juden in Wien geboren, kaufte und verkaufte Wertpapiere an der Börse, handelte mit abstrakten Getreidewaggons, die kein Mensch je gesehen hatte, da sie nur auf dem Papier existierten, in Notizbüchern und Listen. Er hatte ein Büro unter dem Namen »Gebrüder Kobler, Export- und Importhandel« (die Firma hieß nur zur Verstärkung »Gebrüder Kobler«, denn er war der einzige Bruder, die anderen waren nie geboren worden). Er besaß irgendwo einen großen Gutshof, den er nie aufsuchte, und eine schöne Villa in Ischl, wo sie fast alljährlich die Sommermonate verbrachten, so sie nicht in einen anderen Kurort oder ein Seebad im In- oder Ausland reisten. Er strebte den Hofrat an. Von Zeit zu Zeit probierte er den künftigen Titel schon mit Vorfreude: »Herr Hofrat Heinrich Kobler, was, Emmi?«
    Seine Frau Emmi war eine Christin aus dem einfachen Volk, die ihn seinerzeit geheiratet hatte, weil »ein Jude Geld hat«. Sie hielt sich wegen ihrer christlichen Abstammung immer für etwas Besseres, war im Grunde aber keine hartherzige Frau. Ihr ganzes Streben richtete sich nun darauf, ihre Jugend zu bewahren, die längst dahin war, sie

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