Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
seine kurzsichtigen Augen, das nackte Gesicht, die Brille. Er war bereit, jeden innerlich hohlen Gecken zu bewundern, der gute Umgangsformen besaß und ohne übermäßiges Zögern frei und fließend und frech daherreden konnte, zumal er das Wesen dieser Typen nur zu gut kannte. Aber die Mädels liefen nun gerade ihnen nach, den geschniegelten Burschen, und nicht ihm, Fritz Anker, der mit Leichtigkeit Philosophie studierte und Literaturgeschichte und noch so dies und das, und der der einzige Sohn reicher Eltern war und Geld in Hülle und Fülle besaß. Mit Geld kann man tatsächlich etwas kaufen, Geld entschädigt für vieles, aber er möchte nichts kaufen. Er wünscht sich ein Geschenk aus Großherzigkeit, aus unbedingterLiebe, denn bei aller Hässlichkeit ist er ja ein lebender Mensch, und er spürt in seinen sämtlichen Gliedern, dass er mit keinem tauschen kann. Nehmt die ganze Philosophie samt den anderen hehren Dingen für ein Quäntchen einfache, irdische, menschliche Liebe. Mehr braucht er nicht. Er braucht nicht einmal das riesige Vermögen, das sein Vater ihm einst vererben wird.
Als diese Erna ihn vorhin küsste – war er denn dumm genug, nicht zu begreifen, dass dieser Kuss nicht ihm gegolten hatte, sondern jemand anders? Vielleicht Karl Greiner, möglicherweise sogar einem Menschen, der gar nicht dabei gewesen war. Was hätte er nicht alles hingegeben, um glauben zu dürfen, dass ihr Kuss nur für ihn gewesen war, ohne fremde Absichten. Aber trotzdem, sie war ein fabelhaftes Mädchen!
»Schade, dass ich Sie nicht lieben kann«, stieß Erna unvermittelt hervor.
»Das ist kein Wunder, bei einem Mann wie mir …«
»Einen Mann wie Sie noch eher als tausend andere, aber nicht ich.«
An diese Möglichkeit hatte er überhaupt nicht gedacht.
»Aber ich möchte, dass Sie mein Freund bleiben, mein Bekannter – ja?«
»Herzlich gern.«
»Sie dürfen sich sogar ein bisschen in mich verlieben. Das ist angenehm. Aber diskret natürlich, ohne es hervorzukehren. Nicht wahr?«
»Schon geschehen.«
»Schön.«
Später, auf dem Rückweg, stießen sie und Friedel unweit des Haustors auf deren Eltern. Erna begrüßte sie mit einem angedeuteten Knicks. Heinrich Kobler zog die würzige Zigarre in der Bernsteinspitze aus dem Mund und sagte väterlich:»Ah, guten Abend, Fräulein Erna, sehr schön! Und daheim – alles in Ordnung? Sehr schön!«
Sie hielten sich nicht lange bei den Alten auf, sondern gingen gleich in Friedels Zimmer.
»Du warst heute Abend wunderschön«, sagte Friedel, während sie ihre Kleider abstreifte, »hast gar nicht gespürt, dass Karl dich mit den Augen verschlungen hat.«
»Hab ich nicht gemerkt.«
»Ich wäre gern so schön wie du.« Friedel überließ ihr das Bett. Für sie selbst war der Diwan bezogen. Doch Friedel hüpfte ohne langes Fackeln mit ins Bett und legte sich neben Erna. »Weißt du«, flüsterte Friedel im Dunkeln mit einem koketten Unterton in der Stimme, »Vater hat eine Geliebte.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe ihn mit eigenen Augen mal mit ihr gesehen! Ein hübsches Mädchen. Sie kamen aus einem Kaffeehaus, ich bin ihnen gefolgt und weiß, wo sie wohnt.«
»Und Mutter weiß nichts davon?«
»Um Himmels willen! Sie würde ihm die Augen auskratzen.« Nach kurzem Schweigen urteilte sie entschieden: »Die Männer sind anscheinend alle gleich. Jeder wechselt die Frau. Und dein Vater?«, forschte Friedel.
»Ich weiß nicht.«
»Sicher auch.«
»Er liebt Mutter.«
»Meiner auch, aber das ist kein Hinderungsgrund.«
»Und deine Mutter?«
»Das heißt, ob sie auch einen Geliebten hat? Ist mir nicht bekannt.«
Sie gackerten lange leise im dunklen Zimmer und kicherten gelegentlich. Friedel schmiegte sich an Erna, die nicht protestierte, nahm ihre Brüste in die hohlen Hände und streichelte sie wechselweise. Eine Hitzewelle überfluteteErna. Ihr Blut geriet in Wallung, das Herz klopfte schnell und hörbar. Sie übersäten einander mit fieberhaften Küssen auf ihre zuckenden und glühenden Körperpartien. Friedels glatter, weicher Leib klebte immer fester an Erna.
»Ach, meine Süße, meine Einzige! Wie ich dich liebe«, flüsterte Friedel. Und einen Augenblick später: »Ist es besser, einen Geliebten zu umarmen, sag mal?«
»Hab ich nicht probiert, hab keinen.«
»Ich schon, das heißt, nur so, verstehst du? Nicht richtig. Aber du tust mir tausendmal besser als ein Junge.«
Die beiden Mädchen flackerten auf dem Grund der Nacht wie auf dem Grund eines
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