Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
sich, die Sache zu vertuschen, Befehl von oben. Jedenfalls heißt es, Mischa habe die Hände im Spiel gehabt. Der Attentäter wurde natürlich nicht gefasst. Das heißt, man hat einen Unschuldigen festgenommen, um den Leuten Sand in die Augen zu streuen.«
»Nicht das Maul aufreißen, habt ihr verstanden!«, warnte Jascha. »Hiermit wird die Sache begraben! Wer quatscht, kann seine Knochen umgehend dem Lumpensammler verkaufen, denn brauchen wird er sie nicht mehr, und später kriegt er nix dafür.«
»Runtergeschluckt, und keiner weiß, dass du’s intus hast«, assistierte der Heldentenor in seinem Stil, »Freund bleibt schließlich Freund.«
»Schade, dass es nicht geklappt hat!«, äußerte der Maler Akidos, Markus Schwarz’ Zimmergenosse. Groß und kerzengerade saß er da mit seinem aschfahlen, bartlosen Gesicht und war wütender denn je auf alle Welt.
»In Amerika«, warf Arnold Kroin ein, »haben sie goldene Hände! Da gelingt so was immer. Die leisten saubere Arbeit.«
»Du warst gewiss nie in Amerika, Tenor«, mokierte sich Jascha, »ich trau der ganzen Sache nicht.«
»Glaubst du etwa auch nicht, dass ich Arnold Kroin bin?«, witzelte der.
»Das glaube ich durchaus, wer würde denn wohl in deine Haut schlüpfen wollen?«
Rost erkundigte sich unterdessen bei seinem TischnachbarnMarkus Schwarz flüsternd nach den Folgen des Attentats und erfuhr, dass nur die Pferde verendet waren, der Wagenlenker jedoch wie durch ein Wunder überlebt hatte. Er nahm sich im Stillen vor, Mischa im Krankenhaus zu besuchen.
Er nippte an seinem Bierglas und sah etwas zerstreut in das feiste, stets unsauber wirkende Gesicht des Tenors, aus dem drei Goldzähne leuchteten wie aus einem Sumpf. Die Speckwülste dieses Gesichts baumelten herab, als seien sie nicht richtig an den Knochen befestigt, und kleine, triefende Augen saßen darin. Rohes Fleisch, mausgraues Haar, Goldzähne – daraus war das Gesicht geknetet, dem die rauchige, heisere Stimme entstammte. Ein Vielfraß war er, konnte sackweise Essen in sich hineinschaufeln. Irgendwo in einer Kleinstadt in Galizien hatte er seine Frau mit drei Kindern sitzengelassen, und er selbst sang auf jüdischen Hochzeiten wie ein kaputtes Grammophon »Schulamit und der Brunnen«, »Hat a Jid a Weibele« und ähnliche Volkslieder, schlug sich den Bauch zum Bersten voll und bekam dazu noch ein paar Münzen. Er wohnte in einem kleinen Zimmer, das für seine Körpermaße kaum ausreichte, litt unter leichtem Asthma und stritt sich von morgens bis abends mit seiner Wirtin, Frau Feuerzeug, über die Miete, die er ihr schuldete. Er stopfte ihr den Hals hin und wieder mit zwei, drei Gulden, gab aber gelegentlich das für sie bestimmte Geld für eine Nutte in der Malzgasse aus. Manchmal, wenn er es übertrieben hatte und viel saufen musste, um sich zu berauschen, wurde er sentimental und bekam großes Mitleid mit sich. Dann verfluchte er Amerika, das ihn umgebracht habe, dieser gierige Blutegel, der den Menschen bis zum letzten Tropfen aussauge, die Erde möge es verschlingen, yes! Und dann verkündete er all seinen Zuhörern, morgen sei endgültig Schluss! Bis hierher und nicht weiter! Er werde der ganzen Welt zeigen, was in ihm stecke! Caruso, sagt ihr? Eine Null! Ein Gockel! Hat jagar keine Stimme! Aber er, Arnold Kroin, sein Name würde noch in aller Munde sein, Arnold Kroin sei noch nicht verloren! Doch im Handumdrehen verfiel er dann erneut in tiefe Schwermut und versprach mit weinerlicher Stimme, morgen werde er seinen Namen aus dem Bund der Lebenden löschen. Frau Feuerzeug, der alten Hexe, werde er ein Andenken hinterlassen! In ihrem Zimmer würde er baumeln! Er habe schon einen Strang parat. Nein, nein, man solle nicht versuchen, ihn umzustimmen, sein Entschluss stehe fest! Am nächsten Tag kam er dann wieder, als sei nichts geschehen, bewegte wie eine Maschine seinen schweren Leib, unrasiert, schmuddelig, lächelte mit seinen Goldzähnen und war gutgelaunt wie gewöhnlich.
Er trug ein buntgestreiftes Hemd mit Zelluloidkragen, um Wäschekosten zu sparen, einen komischen Anzug amerikanischen Schnitts, das Jackett mit überbreiten, dicken Schulterpolstern, die Hose ebenfalls oben weit und unten schmal, dazu noch zu stark gekürzt, und hellbraune Schuhe, die zwar reichlich ausgetreten und schiefgelaufen, aber jedenfalls echt amerikanisch waren. Auf Hochzeiten ging er in Schwarz, das Jackett mit den fliegenden Rockschößen schon seidenblank gescheuert, dazu eine abgetragene gestreifte
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