Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
obwohl er gewöhnlich nur Zigarren rauche. Zigaretten könne er keinen Geschmack abgewinnen, müsse er gestehen. Früher – ja, aber es sei Jahre her, dass er davon abgelassen habe. Dann griff erden abgerissenen Gesprächsfaden wieder auf, das Thema reizte ihn irgendwie. »Eine Frau wie sie, sehen Sie, ich spreche von meiner Gertrud, lässt keinen Raum für Seitensprünge. Gibt alles und nimmt alles, grenzenlos. Können Sie sich einen Mann vorstellen, der sie, Gertrud, betrügen würde?«
Da er Zustimmung erwartete, tat Rost ihm den Gefallen: »Nein, kann ich mir nicht vorstellen.«
»So ist es! Sie gehört überhaupt nicht zu dieser Kategorie von Frauen. Ich halte Sie für einen klugen Mann. Mit Ihnen speziell kann man doch darüber reden, denn Sie haben ja selbst zugegeben, von Liebe für sie ergriffen zu sein, und sei es auch nur ein ganz klein wenig.«
»Sie wollen also Salz in meine Wunden streuen?«
»Um Himmels willen! Das sei fern von mir! Nur um Ihnen zu zeigen, dass Ihre Sinne Sie nicht trügen. Guter Geschmack – ist dem Menschen zuweilen auch ein Trost.«
»Ein sehr geringer Trost.«
»Zugegeben, aber was wollen Sie? Sie sind ein bisschen zu spät gekommen, hätten sich mehr beeilen müssen, um mir zuvorzukommen, aber auch dann könnten Sie nicht mit Sicherheit sagen, dass Sie den Siegerkranz errungen hätten. Denken Sie denn, Sie hätten keine Mitbewerber gehabt? Wie Sand am Meer! Und nun sehen Sie es mit eigenen Augen!« Er schenkte sich noch ein Glas ein und leerte es in einem Zug zur Hälfte. »Sie können nie genau bestimmen, was einen Mann und eine Frau verbindet, gerade diesen Mann mit dieser Frau. Hier helfen Ihnen weder tiefgründige Betrachtung noch großer Verstand – gar nichts, Sie stehen vor einem Rätsel, einem Rätsel der Natur! Ich meine natürlich eine dauerhafte Verbindung. Zufallsbegegnungen zwischen Mann und Frau gehören nicht hierher.«
Kein Wunder, dachte Rost, so ein ausgesuchter Hornochse. Warum saß er hier und hörte sich dieses blöde Geplänkelan? In Wirklichkeit wartete er, wartete von ganzem Herzen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich die ganze Zeit auf eine bestimmte Richtung, zur Tür, die jeden Augenblick aufgehen konnte. Er saß mit dem Rücken zu dieser Tür, aber das machte nichts. Wenn sie sich öffnete, würde er anfangs nur mit dem Gehör die paar Schritte bis zum Tisch wahrnehmen, oder bis ans Fenster, oder bis ans Klavier, oder bis zum Bücherregal. Er würde sogar absichtlich die Augen schließen, um den Genuss zu erhöhen, und sie erst später aufschlagen, um sich von der Realität überraschen zu lassen. Aber diese Tür wollte sich nicht öffnen. Auf dem Flur hörte man watteweiche Schritte, vom Teppich verschluckt, aber die Tür bewegte sich nicht. Rost begann die Hoffnung aufzugeben. Warum war er so töricht gewesen zu glauben, dass sie sich gerade jetzt öffnen würde? Nur weil er es sich wünschte?
»Die Frauen, wissen Sie«, fuhr Stift fort, »auf diesem Gebiet habe ich einige Erfahrung. Vor allem muss man sie zu nehmen wissen, darauf kommt es in erster Linie an. Mit starker Hand – gewiss! Aber man darf es um Himmels willen nicht übertreiben! Und klar: Man darf nicht verallgemeinern. Es gibt solche und solche. Man muss ihnen erst mal auf den Zahn fühlen, ganz vorsichtig, sehen, wohin der Wind weht. Bei manchen Frauen muss man sich schwach stellen, klein und schwach wie ein krankes Mäuschen – das lieben sie, nur damit erobert man ihr Herz. Die sind von der barmherzigen Sorte, der Mann ist für sie die Puppe, das Kind – und das ist der einzige Weg zu ihnen. Diese Frauen werden Ihnen nichts versagen, aber alles nur über die Bahnen der Barmherzigkeit. Wenn Sie denen nicht erlauben, Sie mit Barmherzigkeit zu überschütten, erreichen Sie nichts bei ihnen. Das ist ihr Wesen. Wenn die ein Kind bekommen, können Sie meist Ihre Sachen packen, Sie werden nicht mehr gebraucht. Dann gibt es welche, die haben mal irgendwo dasWort ›Persönlichkeit‹ aufgeschnappt, und fortan sind sie davon besessen. Sie haben ihr eigenes Urteil in jeder Angelegenheit, und die Hauptsache – immer konträr zu Ihrem. Um Himmels willen darf man ihre Persönlichkeit nicht angreifen. Wenn Sie die belächeln – dann gnade Gott! Lassen Sie ihnen halt ihren Persönlichkeitswahn, und Sie haben’s gut. Zweifel daran zu äußern ist eine unverzeihliche Sünde. Wieder andere werden erst warm, wenn Sie ein paar Säcke voll Liebesbeteuerungen vor ihnen ausgeschüttet haben,
Weitere Kostenlose Bücher