Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
kommen und ihnen ein wenig von seinem Glanz abgeben. Aber dieser Jemand kam nicht, spürte nicht, dass er hätte kommen sollen, und Rost war enttäuscht. Er hatte auf nichts mehr Lust. Das war ein völlig neues Gefühl für ihn, hielt aber nicht an. Rostertappte sich sofort dabei, und ein Lächeln trat auf seine Lippen. So weit ist es gekommen?, sagte er sich. Dann steckst du ja tief in der Patsche, scheint es …
Und jetzt erschien sie. Er befand sich in diesem Augenblick nicht weit von dem eleganten Kaffeehaus gegenüber der Oper. Sie kam ihm in Gesellschaft von Friedel Kobler entgegen, die beiden gingen wohl doch in den Garten. Diese Friedel Kobler konnte man eigentlich gar nicht gebrauchen, schoss es ihm durch den Kopf, aber wenn einem nichts anderes übrigblieb …
Ernas Gesicht leuchtete auf, als sie ihn erkannte. Trotzdem blaffte sie, nachdem er die beiden begrüßt hatte, halb unwillig, halb freudig: »Sie schießen immer dort aus dem Boden, wo man Sie nicht gesät hat.«
Rost lachte. »Wäre es Ihnen lieber, wenn ich jetzt erstochen vor Ihnen liegen würde?«
»Oho, meinetwegen!«
»Wie erstochen?«, forschte Friedel.
»Einfach so, mit einem Messer.«
»Was achtest du auf seine Erfindungen, du bist ja naiv.«
Halb im Scherz, halb im Ernst sagte er: »Erst vor einer Dreiviertelstunde wäre ich beinah erstochen worden. Ich war nur um Haaresbreite vom Tod entfernt.«
»Sie wollen sich interessant machen!«, gab Erna zurück.
Sie standen mitten auf dem Bürgersteig, versperrten den Passanten den Weg. Rost schlug vor, in das nahe Kaffeehaus zu gehen. Nach kurzem Zögern willigte Erna ein. Sie setzten sich an die Wand, in eine Ecke der Terrasse, die sich an der ganzen Front des Cafés entlangzog, etwas geschützt vor den Blicken der Vorübergehenden durch die vordere Reihe besetzter Tische. Im cremefarbenen Sommermantel und mit breitkrempigem Strohhut war Erna bildschön. Ihre feinen Gesichtszüge waren noch im Übergang vom Mädchenhaftenzur reifen Weiblichkeit begriffen, dieser Mischung aus Kind und Frau, die ihr doppelten Liebreiz verlieh. Doch auf ihren vollen, roten Lippen lag schon ein deutlicher Anflug von Sturheit und Launenhaftigkeit. Mehr als ein Mann würde sich künftig die Finger an ihr verbrennen.
Rost musterte sie verstohlen, während sie an ihrer heißen Schokolade nippte, und Erna errötete unter seinem Blick. Innerhalb weniger Monate hatte sie eine deutliche Veränderung durchgemacht, verzeichnete Rost im Stillen, sie war nicht mehr die kindliche Gymnasiastin. Was für ein Abstand zu ihrer Freundin, stellte er fest, als er einen Moment Friedel Koblers grobschlächtiges Gesicht mit der langen, fleischigen Nase und den ausdruckslosen Kalbsaugen betrachtete. Eigentlich konnte man sie, Friedel, nicht als hässlich bezeichnen. Hässlich war sie nicht. Ihre Haare beispielsweise waren schön – dunkelblond, weich, luftig, tadellos. Und doch fehlte etwas, jener wesentliche Funke, der sich nicht mal bis ins Letzte erkennen oder benennen lässt, aber doch allein ausschlaggebend und wertbestimmend ist, wie man es bei Kunstwerken erlebt – dem Anschein nach ist alles bestens gestaltet, nach allen Regeln des guten Geschmacks, all die positiven Merkmale, die Kunstsachverständige aufgezählt haben, sind darin vorhanden, und doch geht die Seele leer aus.
»Ich gehe schrecklich gern ins Café«, erklärte Friedel vergnügt, als sie ihre Himbeerbrause ausgetrunken hatte. »Papa hat nichts dagegen, aber Mama erlaubt es nicht. Junge Mädchen hätten in Kaffeehäusern nichts zu suchen, sagt sie. Sie fürchtet, ich könnte verführt werden, haha. Aber ich bin kein kleines Mädchen mehr, sechzehneinhalb!«
»Man darf Sie also schon verführen«, schloss Rost lachend.
»Das hab ich nicht gemeint«, lachte Friedel und errötete.
Erna starrte abwesend auf die bunte Schar der Passanten vor der Terrasse. Wie hatte sie diese Stunde herbeigesehnt! Den ganzen Morgen in der Schule hatte sie nur an ihr dringendes Verlangen, ihn zu sehen, gedacht. Sie war wie berauscht gewesen, hatte nichts vom Unterricht oder den Worten der Lehrer mitgekommen, bis es schon auffiel und sie gefragt wurde, ob sie krank sei. Und zu Hause hatte sie kaum was zu Mittag gegessen, ihr war völlig der Appetit vergangen. Ihren Eltern gegenüber hatte sie Magenschmerzen vorgeschützt. Danach hatte sie gewartet. War beim leisesten Geräusch aufgeschreckt. Er war ja nicht oft zu Hause und nicht zu festen Tageszeiten. Es stand kaum zu hoffen,
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