Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
verstehst du? Die, die ihn fürchten, zu denen kommt er. Ich hab keine Angst. In einer Woche steh ich auf.«
»Wenn du dich erholen möchtest, auf irgendein Dorf gehen zum Beispiel, ließe sich das einrichten.«
»Jetzt nicht, ich hab jetzt keine Zeit, mich als krank zu betrachten.«
Ein junges Mädchen trat ein. Rost, der mit dem Gesicht zur Tür saß, erriet an ihrem Aussehen sofort, dass sie Mischa besuchen wollte. Der stellte sie namentlich vor: Ljoba. Sie war betont leger gekleidet. Das schwarze Haar trug sie kurzgeschnitten, und da sie kurzsichtig war, kniff sie die Augen zusammen, wenn sie einen anschaute. Ihre Haut war braun wie bei einer Zigeunerin, und ihre Zähne blitzten. Hätte sie mehr für ihr Äußeres getan, wäre sie vielleicht sogar hübsch gewesen.
Rost räumte ihr seinen Platz ein, wollte sich höflich verabschieden, aber die beiden hielten ihn einstimmig zurück: Er störe überhaupt nicht, zumal die Besuchszeit bald zu Ende sei. Er blieb stehen und sah aus dem Fenster.
Die beiden tauschten ein paar geflüsterte Worte. Dann saß Ljoba eine Weile schweigend da, streichelte hin und wieder Mischas Hand, die matt auf der Decke ruhte.
Ein verlorener Mensch, schoss es Rost durch den Kopf, ein Naturgesetz, unabänderlich. Damit hatte er ohne Bedauern Mischas Urteil gefällt. Es gab keinen Menschen auf der Welt, um den es sich nur aus Höflichkeit oder Konvention zu trauern lohnte. Ging der eine ein, wurde irgendwo schon Ersatz für ihn geboren. Man konnte sich nicht zu viel mit dem Schicksal von diesem oder jenem aufhalten.
Nun erschallte vom Garten her die Ansage, dass die Besuchszeit vorüber sei, und Rost verließ mit Ljoba das Krankenhaus. Sie traten auf die belebte, verkehrsreiche, sommerliche Straße, die keinen Raum für Krankheiten und trübe Gedanken ließ. Begierig sog er dieses brodelnde Lebenin seine Lungen ein. Sein Körper streckte sich von selbst, und die Brust schwoll ihm. Alles stand bereit für ihn, alles war für ihn gemacht, für sein Vergnügen, alles strebte danach, von dem ergriffen zu werden, der zuzupacken wusste. Mit einem Schwung warf er seine blonde Haartolle zurück.
»Und Sie studieren …?«
»Chemie.«
»Warum?«
»Ha?«
»Ich frage, warum.«
»Eine Frau ist nicht schlechter als ein Mann.«
»Und der Beweis – ist ein Chemiestudium?«
»Ich kann alles erreichen, was der Mann erreicht hat.«
»Schade!«
»Wieso?«
»Weil die Welt dann nur aus Männern bestehen wird, langweilig.«
»Sie mögen lieber unwissende Püppchen, die sich nur immer schmücken wollen.«
»Sicher.«
»Von heute an werden Sie Ihren Geschmack ändern müssen. Diese Zeiten sind vorbei, jetzt beginnt eine neue Ära.«
»Das will ich nicht hoffen. Es wird immer noch Millionen echter Frauen geben, auf denen die Welt beruht.«
Sie kamen an die Grünanlage gegenüber der Universität und gingen hinein. Sie war ganz und gar sonnenüberflutet, und Kinder spielten dort unter Aufsicht ihrer Kindermädchen oder Mütter.
Ljoba sagte: »Eine Generation nach der anderen habt ihr in Harems, in Küchen, in Kinderzimmer eingesperrt. Mit allen Mitteln habt ihr sie daran gehindert, einen näheren Blick auf eure hehren, angeblich männlichen Angelegenheiten zu werfen. Ihr wart entschlossen, die Dinge untereuch zu regeln, die Hälfte der Menschheit auszuschließen. Jetzt – Schluss damit! Jetzt kommen wir Frauen. Wo ihr versagt habt, werden wir es versuchen – und wir werden es können. Ihr werdet sehen, dass wir den Männern in nichts nachstehen.«
»Klar, aber wer wird denn letzten Endes die Pflicht übernehmen, Kinder zu gebären? Das kann man doch den armen Männern nicht aufhalsen. Die können es beim besten Willen nicht, und ohne Kinder geht es doch wohl nicht.«
»Sie ziehen die Sache ins Lächerliche. So habt ihr es seit eh und je gehalten, mangels schlagender Beweise. Das ist leichter, natürlich.«
»Gott behüte! Ich möchte es allen Ernstes wissen, bin etwas arm an Phantasie.«
Ljobas Gang war hart, unelastisch, wie der eines Arbeiters. Rost, der es mit einem Seitenblick bemerkte, sogar den Verdacht hegte, dass sie sich diese unnatürliche Gangart absichtlich anzugewöhnen trachtete, dachte sich im Stillen, dass sie wahrscheinlich nicht ausersehen war, Kinder zu gebären. Die Sterilität lugte aus jeder ihrer Bewegungen.
Da sie schwieg, fuhr er fort: »Und wenn die Frauen die Weltgeschicke lenken, auch Wissenschaft und Kultur und was sonst noch so anfällt, und dann noch Kinder
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