Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Abgrund. Dann schlug er die Augen auf und haute das leere Glas auf den Tisch. Mit verzerrtem, törichtem Grinsen starrte er die anderen an. Der Heldentenor musterte Karp mit Kennerblick. Danach inspizierte er die erste angefangene Flasche, die noch zu zwei Dritteln voll war.
»Ein tüchtiger Mann, dieser Karp«, wandte er sich an Schor. »Ich setze eine Krone auf Karp!«
»Und ich eine Krone dagegen«, rief Markus Schwarz.
»Geld! Auf den Tisch!«
Karp schüttete unterdessen noch ein Glas in sich hinein. Sein Gesicht war schon hochrot, als hätte man ihm die Haut abgezogen.
»Noch eine Krone auf Karp! Zwei insgesamt!«, jubelte der Tenor.
»Noch eine Krone dagegen!«
Der Tenor schenkte ihm ein Glas ein und spornte ihn auf Englisch an: »Come on, boy!«
Schwarz protestierte: »Man darf ihm in keiner Weise behilflich sein!« Aber Schor entschied, dass es nichts ausmache,weil man es nicht ausdrücklich zur Bedingung gemacht hatte.
Ein feines, spöttisches Lächeln wich nicht aus Rosts Gesicht. Ab und zu blickte er zu Malwine hinüber, die immer noch, knallrot vor Aufregung, dastand und mechanisch ihr Taschentuch hin und her drehte. Ihr Max hatte seine Miene – von wegen »mich kann keiner« – bereits verloren und wieder seinen natürlichen Ausdruck angenommen.
Es war zehn Uhr. Der Nebensaal hatte sich schon geleert. Vor über einer halben Stunde hatte Karp angefangen, und noch immer standen zwei volle Flaschen da. Der Tenor feuerte ihn unermüdlich an: »Trink! Die Zeit vergeht! Das kostet mich zwei Kronen!«, bis Karp sich schließlich mit dem letzten Rest klaren Verstands aufbäumte und ihn mit angekratzter Stimme anfauchte: »Halt’s Maul, du kaputte Dampflok.«
Von seiner roten Stirn tropfte der Schweiß. Er warf seiner Umgebung einen verwirrten Blick zu, goss sich dann mechanisch ein weiteres Glas ein und trank in kleinen Schlucken. In seinem benebelten Hirn war noch ein einziger heller Funken übriggeblieben, nämlich seine Beziehung zu dem Wein, ein vager und energischer innerer Drang angesichts der vollen Flaschen, ohne sich dessen Ursprungs und Ziels bewusst zu sein. Fritz Anker beobachtete desinteressiert und insgeheim angewidert das ganze Spektakel.
Akidos erschien, groß und hager, das Gesicht bart- und alterslos, und setzte sich aufrecht und starr neben Markus Schwarz, seinen Wohngenossen, ohne ein Wort zu sagen. Er machte ein Gesicht, als habe er sich herabgelassen, einem unwürdigen Beleidiger etwas zu erwidern, und seine Miene schien zu sagen: Das alles hier ist nichts als ein Kinderspiel. Mich wird man mit nichts überraschen. Wir haben schon alles Mögliche gesehen.
Der Tenor mahnte pausenlos weiter zu Eile. »Die Zeitvergeht!«, schrie er in den Tumult. »Zwei Kronen! Nicht mal Wasser würde er runterkriegen, und so einer maßt sich an, Wein zu trinken …«
Aber Max Karp, der knallrote und schwitzende Kopf auf die Schulter gesunken, achtete nicht mehr auf seine Worte. Mit selbstvergessenem Lächeln brummelte er sich ein Lied, dessen Text nur mit Mühe zu verstehen war:
Nur zweiundzwanzig Mann
Kamen wir aus dem Kampf
Sucht euch Bräute im Tann –
Machten sie uns Dampf
Traralalala
Nur zweiundzwanzig Mann
Hauten wir ihn auf den Kopf –
Schleppt Zimbeln an
Schlagt Trommeln und Topf !
Tirila-tirila-bumm!
Auge, Zahn oder Steiß.
Ist uns schnurzegal.
Verbindet Wasser und Eis
Dem Nashorn zum Mahl!
Tirila-tirila-bumm!
Verbindet Wasser und Eis
Dem Nashorn zum Mahl!
Mit Stiefelfett
Heilt ihr Laus und Wanz
Beim Drehen im Menuett
Hebt hübsch den Schwanz!
Tirila-tirila-bumm!
Beim Drehen im Menuett
Hebt hübsch den Schwanz!
»Singt, Kinder!«, rief er mit versagender Stimme. »Hi, man sieht gleich, dass ihr keine Barden seid!«
Jedenfalls war jetzt klar, dass man die Sache aufgeben konnte. Die restlichen anderthalb Liter würde zumindest er nicht mehr trinken. Ohnehin tauchte jetzt Jascha auf, und zwar in Begleitung einer Rothaarigen mit kecker Stupsnase. Er begrüßte Rost mit lärmender Kumpelhaftigkeit und einem Klaps auf die Schulter und sagte fröhlich lachend in seinem volltönenden Bariton: »Servus, Fritzi!« Die rümpfte die Nase.
»Und wer ist diese rote Fahne?« Sie deutete mit dem Kinn auf die Rothaarige.
Die wich zurück, wie von der Tarantel gestochen. »Und du selbst, fette Sau?«
»Halt die Klappe, du Flittchen!«
Und ehe jemand recht begriff, was geschah, sprang sie auf und versetzte ihr einen harten Schlag. Im nächsten Moment waren die beiden
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