Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Nur die eine Seite handelt ehrlich, das ist der Kunde. Hier bleibt kein Raum für Lüge, denn andernfalls gelingt der Handel ja gar nicht.«
Das Hotelzimmer, in das der verschlafene Diener sie führte, war quadratisch, die Tapete grün mit großen rosa Blumen. Es roch leicht nach Seife und billigem Puder.
Anker öffnete ohne Eile einen der beiden Flügel des Fensters, das auf einen unbeleuchteten Hof ging. Alle anderen Fenster, die darauf blickten, waren um diese Uhrzeit schon blind, bis auf eines mit herabgelassenem Vorhang. Die junge Frau setzte den Hut ab und begann sich auszuziehen, und Anker, der vor ihr auf einem Stuhl saß, verfolgteihre Bewegungen mit übertriebenem Interesse und rauchte wortlos. Jetzt war sie ihm nicht mehr auf zwei Schrittlängen nahe, sondern schien weit weg zu sein, wie in einer anderen Wohnung, hinter einer gläsernen Trennwand, unwirklich. Dann war sie schon nackt, trat ans Bett und streckte sich auf den Decken aus, ohne sie erst anzuheben. »Nun?!«, schleuderte sie Anker entgegen, der sich immer noch nicht rührte. Da stand er auf und setzte sich zu ihr auf die Bettkante.
»Möchtest du nicht rauchen?«, fragte er und strich ihr mit der Hand über die Schenkel.
»Legst du dich nicht hin?«, spornte sie ihn an. »Zieh dich aus, und leg dich zu mir.«
»Gut. Ich werde das Jackett ausziehen. Und das Übrige, verstehst du, da weiß ich nicht recht. Heute vielleicht nicht. Ich bin nicht vorbereitet, das heißt, ich bin nicht in der seelischen Lage dafür.«
Schlagartig erfasste die Frau die wahre Situation, fuhr wie gebissen hoch und setzte sich auf. Ihre ganze Nacktheit hatte sich mit einem Handstreich als erbärmlich, unnütz, sinnlos und daher auch frivol erwiesen. Die Sittenlosigkeit schrie zum Himmel.
»Was!«, zischte sie aufgebracht. »Ein Waschlappen bist du! Kein Mann! Ich frage mich, wozu du wohl bereit bist, wenn du nicht mal mit einer Frau schlafen kannst! Was für ein faules Ei!«
»Halt’s Maul!«
»Und wenn nicht? Was willst du mir wohl antun?! Bin ich dir etwa nicht schön genug? Ich bin mir zu schade für solche von deiner Sorte! Ich möchte mal wissen, wo du aufgewachsen bist! Jedenfalls nicht unter normalen Menschen. Pack deine Sachen und verschwinde, du Sauertopf !«
Anker drehte sich gelassen um, als wolle er etwas entgegnen, doch ehe er es noch selbst erfasste, quasi ohne seinWollen und Wissen, holte seine Hand spontan aus und versetzte der Frau eine schallende Ohrfeige. Dies kam für Anker selbst überraschend. Es geschah praktisch von selbst. Dabei verspürte er keinerlei Wut auf diese Frau, auch keinen Hass auf sie. Und als er sich seines Tuns bewusst wurde, beschlich ihn Scham.
Die Hand an die Wange gelegt, saß die junge Frau da und schluchzte leise, tränenlos. Anker stand schlaff am Bett, wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte ihr abgewandtes Gesicht nicht sehen, aber ihren Körper überliefen hin und wieder leichte Schauder. Dann drehte sie ihm langsam das Gesicht zu und sah ihn mit feuchten Augen an. Ihr Blick war jetzt flehend, unterwürfig, wie der eines geprügelten Hundes. Plötzlich beugte sie sich vor, ergriff Ankers Hand und drückte die Lippen darauf. Leise, unsicher murmelte sie, nicht an jemand Bestimmtes gerichtet: »Man muss mich nicht schlagen, muss man nicht …« Und bald darauf, mit unterdrückter, glühender Beharrlichkeit, ohne seine Hand loszulassen: »Möchtest du nicht? Sag, möchtest du wirklich nicht?«
Anker sank wieder neben ihr aufs Bett. Entschuldigend stieß er hervor: »Ich hab’s nicht gewollt, verstehst du? Es ist die Gemeinheit, die mir zutiefst innewohnt, manchmal springt sie urplötzlich heraus und stellt alles auf den Kopf.« Er nahm die Brille ab und begann aus Verlegenheit, die Gläser mit dem Taschentuch zu putzen. Seine bloßen Augen irrten umher, unsicher, elend, ohne Halt.
Schwer atmend vor Schreck lag die Frau auf dem Rücken und streichelte ihre schönen runden Brüste. Neben dem leichten Schamgefühl wegen seines seltsamen Benehmens vor einigen Minuten stellte sich bei Anker Zufriedenheit ein, und man könnte sagen, auch das Gefühl, mit sich selbst versöhnt zu sein. Denn die Affäre hatte ihm ja klar bewiesen, dass er noch ein gesundes animalisches Element in sichstecken hatte, dass er in bestimmten Fällen noch zu unvorhergesehenen Impulsen fähig war, die von der Entstehung bis zur Umsetzung nicht den langen Weg des Zögerns, Zweifelns, Forschens durchliefen. Dieser Umstand ließ sein Wesen
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