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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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gingen dann die Kärntner Straße entlang. Rost lehnte Ankers Angebot ab, einen Fiaker zu nehmen. Er sprühte vor überschüssiger Energie und konnte jetzt kaum still in einer Kutsche sitzen,musste etwas von seinem Schwung durch Bewegung abreagieren. Fritz Anker, den Stock in der Hand und eine Zigarette zwischen den Lippen, war heute in aufgeräumter Stimmung, zwischen Schicksalsergebenheit und stiller Resignation, etwas befreiter von seinen nagenden und quälenden Seelenforschungen. Groß und schlaff ging er an Rosts Seite, die kurzsichtigen Augen angestrengt nach rechts und links schweifend. Sein Anzug aus teurem Stoff, von einem der besten Herrenschneider angefertigt, saß wegen seines schlenkernden Gangs und seiner zaghaften und strauchelnden Bewegungen trotzdem nicht gut. Alles an ihm wirkte fehl am Platz. Er selbst spürte das ohne Unterlass, und andere spürten es auch. Bei den meisten Menschen, die ihn neu kennenlernten, löste er vage Beklemmung aus, und dieses Gefühl blieb in einem verborgenen Winkel auch dann noch bestehen, wenn sie ihn schon eine gewisse Zeit kannten. Dabei war er nicht unsympathisch. Man konnte seinem Gesicht sogar etwas Freundliches, Hingebungsvolles entnehmen.
    Rosig schimmernder Abendglanz erfüllte die Luft, und eine bleiche Mondsichel stand schon am klaren blauen Himmel. Große, atemberaubende Lust durchpulste Rost, ohne dass er sie nach außen ableiten konnte, um sein seelisches Gleichgewicht wiederzuerlangen. In diesem Moment fühlte er sich zu allerlei Unfug, zu allerlei Irrsinn fähig. An seinem Mund hafteten noch Ernas volle, weiche Lippen, er witterte den zarten, züchtigen Duft ihrer sechzehn Jahre. In den Händen fühlte er noch ihr Haar und die festen Apfelbrüste. All das hatte sich ihm greifbar eingeprägt, aber er rührte jetzt nicht daran. Verstaute dieses Glück in einem Winkel seiner Seele für später, wie einen wertvollen Schatz.
    Das Achdut hatte heute nicht viele Gäste. Fritz Anker musterte mit unverhohlener Neugier die fremden Gesichter,einige mit Backenbart, der ihnen wie ein rechteckiges Pflaster angeklebt saß, und mit einer kleinen Kippa wie ein schwarzer Flicken auf dem geschorenen Schädel. Reb Chaim Stock machte wie gewohnt gemessenen Schritts die Runde, die Arme auf dem Rücken verschränkt und den Kneifer quer über der Nase. Max Karp stützte sich auf die Theke, wo Malwine Krüge mit Bier und Gläser mit Pflaumenwein füllte, und tuschelte zwischendurch mit ihr. Im zweiten Saal, in den Rost Anker mitzog, saßen von der Gruppe nur Markus Schwarz, der gerade einen gefüllten Hühnerhals vertilgte, und Arnold Kroin, der Heldentenor, der verstohlen jeden seiner Bissen verfolgte.
    »Ah«, krächzte ihm der Heldentenor entgegen, »ist ja eine Ewigkeit her. Du vernachlässigst uns, Mister.«
    »Heute halten wir ein Gelage, ein echtes Gelage! Nur ihr beide? Wo sind die anderen?« Er ging zum Durchgang in den ersten Saal und rief Max Karp dazu. »Wo steckt Jascha? Hier habe ich einen neuen Freund mitgebracht. Er heißt Fritz Anker, ob ihr’s glaubt oder nicht, und er trägt eine Brille – das steht außer Zweifel.« Anker lächelte verlegen. »Und du, Tenor, hast du noch nicht gespeist? Alles zu seiner Zeit. Jetzt fangen wir von vorne an.«
    Durchs offene Fenster drang wie immer Babygeschrei. Bald darauf steckte die dicke Fritzi den Kopf ins Fenster und linste hinein.
    »Ah, Fritzi, komm bitte rein«, rief Rost. Dann bestellte er Speis und Trank für die ganze Gruppe. »Und wo ist Jascha?«, fragte er Fritzi.
    »Wir sind nicht mehr zusammen«, antwortete sie mit einer Spur verhaltenen Grolls.
    »So, dann bist du ja jetzt zu haben.«
    »Nicht für dich, kleiner Rost«, sagte sie kokett.
    »Danke, zum Glück habe ich nicht darauf gewartet, sonst wäre ich ja ein alter Junggeselle geworden.«
    Später kam ein nicht besonders großer, aber breitschultriger Mann um die fünfundzwanzig herein. Er hatte einen kurzgeschorenen Quadratschädel, und der offene Hemdkragen entblößte eine Brust, die so behaart wie bei einem Affen war. Max Karp stellte ihn vor: »Ein Student aus Belgien, der hier in unserer Stadt auf Vergnügungsreise ist, Herr Schor. Er findet die Mädchen hier leckerer als in Belgien. Sie riechen nicht nach Zwiebeln.«
    »Schluss mit Komplimenten«, lachte Schor. Sein breites Gesicht war offen, strahlte Klugheit und Mut aus. Er war schlicht und sogar etwas nachlässig gekleidet, mehr wie ein Mann vom Dorf. Sein ganzes Auftreten zeugte von

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