Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Frauen schon zu einem wirren Knäuel verkeilt, rissen einander kreischend Haarbüschel aus, traten mit Füßen und Knien. Plötzlich wurde es still in der Runde. Jascha verfolgte den Kampf ein paar Minuten lang schweigend, dann rief er: »Jetzt reicht’s!«, und trennte die beiden mit einem einzigen Handgriff. Danach teilte er – in einer originellen Form von Friedensstiftung – jeder eine Ohrfeige aus: »Da habt ihr’s, alle beide! Und jetzt aber Ruhe!«
Die beiden Frauen hielten einen Moment verblüfft inne, als staunten sie selbst über das, was hier geschehen war. Aus der zerrissenen Bluse und Unterwäsche der Rothaarigen lugte eine schneeweiße, einsame, gekränkte Brust, und ihr gerötetes Gesicht verschmolz mit dem wirren Haar zu einerroten Flamme. Sie stand ratlos da, ohne zu wissen, was sie nun machen sollte, als sei sie ganz und gar mit einer sehr wichtigen Arbeit befasst gewesen, die die Aufbietung aller Kräfte erforderte, und dann jäh herausgerissen und in eine fremde Welt versetzt worden. Fritzi hielt immer noch eine rote Haarlocke vom Kopf ihrer Feindin in den Fingern. Schließlich schrie sie sie an: »Dich krieg ich noch! Ich werd’s dir heimzahlen!«, und ging in die Küche, um sich das Blut abzuwaschen, das ihr aus der Nase rann.
Der Tenor nutzte den allgemeinen Tumult, um sich und Akidos je ein Glas von Karps Wein einzuschenken, aber Akidos, den die Schlägerei in seiner unmittelbaren Nähe vom Stuhl hochgejagt hatte, blieb lang und dünn wie eine Bohnenstange stehen und starrte die Rothaarige an. Die ordnete ihre Frisur und Kleidung, wobei sie die abwesende Fritzi heftig beschimpfte, betreffs ihrer fragwürdigen Weiblichkeit und ihres unsittlichen Lebenswandels, ohne dabei ihre Väter und Großväter auszulassen, und insbesondere nicht ihre Mutter und deren Mutter, die bereits schmähliche Huren gewesen seien und sich mit jedem Säufer und Penner in der Gosse gewälzt hätten. All das äußerte sie mit einer Gewissheit, die keine Widerrede duldete, als habe es sich in ihrem Beisein und vor ihren eigenen Augen abgespielt. Bis Jascha dem Redestrom schließlich Einhalt gebot: »Genug! Ich sage genug! Verstanden?«
Die Rothaarige hatte verstanden und verstummte schlagartig. Zog sich einen Stuhl an den Tisch neben Schor und sank erschöpft darauf nieder. Jetzt, da ihr Zorn sich etwas gelegt hatte, spürte sie die schmerzenden Stellen an ihrem Körper, und der Kopf brannte ihr wie versengt.
Fritzi kehrte sauber und ordentlich an ihren Platz zurück. Akidos reichte ihr galant das Glas Wein, das vor ihm stand, aber Fritzi warf ihm einen tödlichen Blick zu und wies das Glas samt seiner Fürsorge zurück. Mit einem Schlag warenalle stocknüchtern, bis auf Max Karp, dem das Geschehen hinter seinem Rücken nicht ins Bewusstsein gedrungen war. Er lallte nur weiter sein Lied, in sich zusammengesunken wie ein Häuflein Elend, ohne dass man noch etwas vom Text verstehen konnte.
Der Tenor, der um seine zwei Kronen bangte, kappte als Erster die beklemmende Stimmung. »Wirst du heute noch was trinken?«, flötete er leise in Karps Ohr, als ob der schwerhörig wäre. Karp machte eine matte Kopfbewegung, als wolle er eine störende Fliege verjagen.
»Vergebens!«, rief der Tenor resigniert. »Dieser Kohlkopf ! Nur noch zwanzig Minuten!«
Karps großer Kopf sank immer tiefer, landete fast auf seiner Brust wie eine schwere Eisenkugel. Die Augen waren niedergeschlagen, fast geschlossen. Er schien zu schlafen, war aber nur benommen. Jetzt sang er nicht mehr.
Rost lachte plötzlich laut auf. Das Ganze war lächerlich. Die Erinnerung an den Nachmittag kehrte zurück, und eine Woge der Freude überflutete sein Herz. Was für ein Unterschied zwischen dem hier und dem dort. Gut, dass das Leben so viele Facetten hatte, ein sicherer Schutz gegen Langeweile.
Er erzählte Jascha von der Wette, und der entschied: »Aus damit! Er wird nicht gewinnen!«
»Da haben Sie das wilde Tier hervorbrechen sehen«, wandte Anker sich an Schor, das Handgemenge der Frauen betreffend. »Finden Sie das schön? In meinen Augen ist es abscheulich.«
»Wir befassen uns nicht mit Schönheit. Die Schönheit wollen wir den Greisen überlassen.«
Rost rief den Kellner und zahlte. Die Lust, in diesem Kreis zu sitzen, war ihm mit einem Schlag vergangen. Er stand auf, Anker und Schor kamen mit. Eine Weile schlenderten sie durch die menschenleeren Straßen, deren Betriebsamkeitum diese Uhrzeit schon verebbt war, unter einem fernen, dunklen,
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