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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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klaren Himmel voller Sterne. Aus dem Gebüsch beiderseits der Alleen wehte ihnen würzige nächtliche Kühle entgegen, die die Seele unbewusst auf das geheimnisvolle Leben dieser winzigen Himmelskörper, so ewig wie das Weltall, richtete.
    Schor ging mit festen, ausholenden Schritten, verlagerte bei seinem leicht schwankenden Seemannsgang das Körpergewicht von einem Bein aufs andere. Dann stimmte er ein Lied an, in dem ein tieftrauriger Unterton mitschwang. Seine Stimme war volltönend, aber etwas angekratzt, und gerade dieser Defekt verlieh ihr eine verhaltene Schwermut, die den Tiefen vieler vorausgegangener Generationen entstammte.
    Da gehe ich also, grübelte Fritz Anker, neben diesen beiden Männern, und sie gehören keineswegs zu den schlechtesten oder den langweiligsten Menschen, stehen dir innerlich sogar etwas nahe – und trotzdem! Trotzdem schreitest du einsam voran, in völliger Einsamkeit, und die ganze Welt liegt leer vor dir, hat nichts Fesselndes für dich. Und wer ist schuld daran? Bei wem liegt der Fehler? Nichts zu machen, entschied er im Stillen, rein gar nichts.
    In der Rotenturmstraße standen einige Prostituierte müßig an der Ecke oder stolzierten ein paar Schritte auf und ab, beschienen vom blendend grellen Licht in der leeren Straße. Rost wechselte ein paar Zoten mit ihnen, und sein Lachen hallte nackt und hohl.
    Nichts unterscheidet mich von diesen Frauen, urteilte Anker im Stillen, ich bin wie sie, einsam am Ende aller Hoffnungen, einsam und entleert. Und nun würde er in sein Zimmer zurückkehren müssen, sei es gleich oder im ersten Morgenlicht, aber eine Zuflucht würde es nicht bieten.
    »Nehmen wir einen Fiaker und fahren ein bisschen spazieren«,entfuhr es ihm unabsichtlich, »zum Prater beispielswiese.«
    Rost stimmte zu, wollte aber nicht in den Prater, nicht jetzt. Sie sollten erst was trinken in einem Café, denn seine Kehle sei ausgedörrt.
    Doch schlagartig war Anker die Lust vergangen. Ob jetzt oder in zwei Stunden – war ja gehupft wie gesprungen, so oder anders gab es kein Entrinnen. Er musste mit sich leben. Ein kurzer Aufschub nützte da nichts, danach fiel die Rückkehr nur doppelt schwer.
    »Sparen wir es vielleicht für ein andermal auf«, erklärte er, »ich möchte jetzt nach Hause.« Und überraschend verabschiedete er sich und ging schweren, schleppenden Schritts davon.
    Den Kopf leicht gesenkt, stapfte er die Straße entlang, ohne nach rechts oder links auf die dunklen Schaufenster zu blicken, in denen die Kleider und anderen Auslagen, hier und da spärlich von Straßenlaternen beleuchtet, wie in süßen Schlaf versunken wirkten.
    An einer Straßenecke hielt ihn ein geschminktes Mädchen auf. Im ersten Moment schreckte er zurück und machte ein dummes Gesicht. Dann murmelte er »gut« und folgte ihr schweigend. Als sie an einem kleinen Kaffeehaus vorbeikamen, schlug er einen gemeinsamen Besuch vor. Um diese Uhrzeit saßen dort nur wenige Gäste. In einer Ecke spielten zwei junge Männer Domino und rauchten billige Zigaretten. Der eine leierte pausenlos mit rauer Stimme: »Diesmal, ha, diesmal wirst du mir nicht entrinnen! Ich werd dich besiegen!«, und setzte die Steine mit triumphierendem Klacken.
    Anker bestellte Cognac. Die junge Frau war in den Zwanzigern und hatte hübsche, etwas traurige Augen. Abgesehen davon war sie weder schön noch hässlich, ein Allerweltgesicht.Sie nippte vorsichtig und in langen Abständen, hielt die Hand unter den Schwenker, um eventuelle Tropfen aufzufangen.
    »Einerseits«, sagte Anker ins Blaue, »ist es ja richtig, so wollte es die Natur. Ohne Umschweife, wenn auch ohne Bezahlung. Das heißt, so und so für den und den Betrag, doch andererseits …«
    »Was erzählst du da?« Seine Begleiterin sah ihn verständnislos an.
    »Nur so, nicht an dich gerichtet.« Er trank seinen Cognac aus und zündete sich eine Zigarette an, und nach kurzem Schweigen: »Ich werde dich nicht nach deiner Lebensgeschichte fragen. Die Antwort steht ja von vornherein fest, immer die gleiche Geschichte, wie in einem Buch gelesen und auswendig gelernt: Abgewiesen von einem Offizier, Schwangerschaft und in Armut verlassen, Vertreibung aus dem Elternhaus und so weiter und so fort … All das ist schon sattsam bekannt. Alle lügen sie ja, wie sie auch in Bezug auf das Übrige lügen, in der Hauptsache. Da aber die Lüge im Voraus bekannt ist – bleibt hier ja kein Raum für Schwindel. Von vornherein und in vollem Wissen kaufst du gefälschte Ware. Klar!

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