Eine zu wenig im Bett
Käse kamen die beiden Freundinnen die Wendeltreppe wieder hinunter. Auf ihrem Weg nach draußen blickte Lindsay sehnsüchtig auf das rote Buch, das unter dem Baldachin aus Blumen lag.
Obwohl sie sich auf die Hochzeitsdekoration und die Hors d’œuvres konzentrieren wollte, hatte sie die meiste Zeit damit zugebracht, an Hunter zu denken. Am Sonntag hatte er sie gesucht. Wenn man bedachte, dass er erst vor Kurzem verlassen worden war, erforderte das eine Menge Mut – schließlich gab es durchaus die Möglichkeit, wieder zurückgewiesen zu werden. Und genau das hatte sie tatsächlich getan.
Er war wütend gewesen – wie es jeder andere Mann, der noch einen Funken Stolz besaß, auch gewesen wäre. Sie konnte wohl kaum erwarten, dass er noch einmal auf sie zugehen würde. Shauna war zwar der Meinung, dass das gut war, aber Lindsay konnte diese Endgültigkeit einfach nicht akzeptieren. Sie hatte sechs Monate lang von Hunter geträumt und dann zusammen mit ihm den wundervollsten Sex genossen, den sie je erlebt hatte.
Wenn diese Nacht nicht mehr als eine Erste-Hilfe-Maßnahme für seinen verletzten Stolz gewesen war, warum hatte er dann noch keine andere Frau gefunden, die diese Rolle übernahm? Zwei Wochen nach ihrem gemeinsamen Abenteuer wollte Hunter noch immer mit ihr zusammen sein – und zwei Wochen waren eine sehr lange Zeit für einen Mann, der so körperlich war wie er. So verhielt sich kein Mann, der sich nur über eine Enttäuschung hinwegtrösten wollte. Auf diesem Gebiet war Lindsay schließlich Expertin. Die Typen, die bei ihr Trost gesucht hatten, waren ihr in den ersten zwei oder drei Wochen, nachdem sie verlassen worden waren, nicht von der Seite gewichen. Beinahe so, als müssten sie sich immer wieder versichern, dass sie ihre Aufmerksamkeit auch verdienten. Hunter hingegen hatte sie in den letzten zwei Wochen nur ein einziges Mal getroffen.
Vielleicht war Hunters Selbstbewusstsein doch in einer besseren Verfassung, als sie angenommen hatte. Wenn es so war, hatte sie ihre Chancen bei ihm für immer verspielt, als sie ihn bei ihrer Begegnung am Sonntag so schroff zurückgewiesen hatte. Das wiedergutzumachen würde eine wirklich außergewöhnliche Maßnahme erfordern.
Auf dem Gehweg vor Divine Events umarmte Shauna sie. “Nächste Woche machen wir einen Mädchenabend”, versprach sie. “Ich fühle mich furchtbar, weil ich nicht da war, als du die Sache mit Hunter durchstehen musstest.” Sie sah Lindsay in die Augen, bevor sie die Sonnenbrille aufsetzte. “Bleib stark und entschlossen. Wenn du merkst, dass du unsicher wirst, ruf mich auf dem Handy an, und ich richte dich wieder auf.”
Lindsay lächelte. “Du klingst, als wäre ich abhängig von Kerlen, die sich nur trösten wollen.”
“Eine Zeit lang hat es so ausgesehen. Aber es ist mittlerweile ein Jahr her, dass du dich mit einem solchen Typ eingelassen hast. Halte dich von Hunter fern, und du bleibst frei und unabhängig.”
“Gut.” Lindsay setzte ihre Sonnenbrille auf, damit Shauna die Zweifel in ihrem Blick nicht sehen konnte. “Wir treffen uns dann nächste Woche.”
“Dienstagabend”, entgegnete Shauna. “Wir sollten uns Dienstagabend treffen. Lass uns um die Häuser ziehen!”
“Okay. Dienstagabend also.” Der Vorschlag, sich in diversen Bars nach verfügbaren Single-Männern umzusehen, klang grauenvoll in Lindsays Ohren. Sie war einfach nicht interessiert an irgendwelchen Single-Männern. Nur an einem einzigen.
Shauna winkte ihr noch einmal zu, dann ging sie die Straße hinunter zu der Anwaltskanzlei, in der sie arbeitete.
Lindsays Bushaltestelle lag in der entgegengesetzten Richtung. Es war gerade noch genug Zeit, um den nächsten Bus zu erwischen, der sie vor Ende ihrer Mittagspause zurück in die Bank bringen würde. Lindsay zögerte. Sie kämpfte gegen ihre Unentschlossenheit.
Sie kannte sich. Wenn sie jetzt ging, würde sie erst wieder zu Divine Events kommen, wenn Shauna einen Termin vereinbarte – und das konnte noch drei oder vier Wochen dauern. In drei oder vier Wochen wäre ihre Chance aber unwiederbringlich verstrichen. Jetzt oder nie.
Ihr Herz pochte wild, als sie den Messingknauf der Glastür ergriff und wieder in das Gebäude ging. Niemand war im Foyer. Das scharlachrote Buch gehörte praktisch ihr allein. Sie strich mit zwei Fingern über den Einband aus geschmeidigem Leder. Es stand kein Titel darauf.
Aus Shaunas Erzählungen wusste sie, dass das Buch tatsächlich ein ziemlich umfangreiches Werk
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