Eine Zuflucht aus Rosen
zählte nur zwölf Sommer und sie nicht mehr als zehn. Sie blieb nur fünf Monde dort, bevor er nach ihr schicken ließ, damit sie nach Tricourten zurückkehre. Es war nicht ihr Wunsch fortzugehen.“ Judith rang kummervoll die Hände, als sie sich an die Todesblässe auf dem Gesicht ihrer Freundin erinnerte beim Empfang der Nachricht. Auch wenn Madelyne wenig von ihrem Vater sprach, war es offenkundig, dass sie ihn nicht mochte – ihn sogar fürchtete. „Es war dann wenige Monde später, dass ich Kunde erhielt, sie und ihre Mutter wären im Fluss nahe bei Tricourten ertrunken.“
„Ertrunken. Ja, das ist auch die Geschichte, von der ich hörte, glaube ich.“ Etwas in Gavins Augen erweckte Judiths Interesse und sie betrachtete ihn etwas genauer.
„Was ist mit Euch?“
„Habt Ihr mir nicht von einem seltsamen Muttermal erzählt, das sie am Arm hatte? Ich erinnere mich an eine Grübelei von Euch, dass das Mädchen einige ungewöhnliche Punkte am Handgelenk hatte.“
Judith nickte. „So ist es. Drei Leberflecke ganz nah an ihrem Handgelenk, genau hier.“ Sie zeigte es ihm an ihrem eigenen Handgelenk. „Als sie neu nach Kent Castle kam, erwähnte eine der Mägde es und verbreitete das Gerücht, sie wäre vielleicht eine Hexe wegen solcher Zeichen im Fleisch. Aber dieses Gerücht wurde bald vergessen, dann Madelyne war ein so liebes und bezauberndes Mädchen, dass niemand schlecht von ihr denken wollte.“
Es schien, als würde hier ein bitterer Humor kurz in Gavins Gesichtszügen aufblitzen, aber der war so rasch wieder verschwunden, dass Judith sicher war sich das eingebildet zu haben. Er fuhr wieder fort. „Und wie genau waren diese Flecken angeordnet?“
Sie zeigte es ihm: Ein Leberfleck oberhalb von zwei anderen, die in einer Linie angeordnet waren, was insgesamt ein kleines, kompaktes Dreieck bildete. Es erschien eine derartige Genugtuung da auf seinem Gesicht, dass ihr auf einmal klar wurde, warum er das alles fragte. „Ihr wollt doch nicht etwa sagen, dass sie am Leben ist?“
Seine Brauen zogen sich plötzlich mit solcher Wildheit zusammen, dass Judith zunächst erschrak. „So ist es, das Weib lebt noch. Und durch sie werde ich endlich an Fantin herankommen.“
„Ihr werdet ihr nichts tun!“ Judith vergaß ihre eigenen Vorsätze und wie brüchig dieses sehr dünne Band zwischen ihnen war. Stattdessen klammerte sie sich protestierend an seinen kraftvollen Arm. Sein Gesicht verriet, wie ihre Worte ihn beleidigt hatten, und sie machte sich Vorwürfe deswegen. Aber sie würde nicht zusehen, wie einer anderen Frau Leid zugefügt wurde, ganz besonders nicht Madelyne de Belgrume (wenn es tatsächlich sie war, von der er hier sprach).
„Nein, Judith, ich werde ihr nichts tun.“ Seine Stimme war barsch, als er seine Hand auf ihre legte, um sie von seinem Arm zu entfernen. „Aber sie wird das Instrument sein, mit dem ich Fantin zur Raison bringe.“
* * *
Die harten Steine schürften ihm die schmerzenden Knie auf, aber Fantin de Belgrume genoss solcherlei Qualen. Er würde derartige Schmerzen oder Bußen jederzeit ertragen, während er betete – denn jede Qual, die er jetzt erduldete, würde ihm vielfach vergolten werden, wenn sein Werk vollbracht war. Und Fantin zog es in der Tat vor, inmitten all der Utensilien seines Werkes zu beten, hier auf dem nackten Steinfußboden, wo er es riechen und sehen und fühlen konnte – anstatt in der Kapelle.
Er verflocht die Finger ineinander zum Gebet, beendete die Stunde des Betens, die ebenso Teil seines Werkes war wie das Laboratorium und die Rezepturen und die aus Metallen gebrauten Flüssigkeiten. Fantin begann und beendete jede Sitzung in seinem Laboratorium im Einklang mit Gott, weil er wusste: Ohne dessen Führung würde er niemals die Rezeptur entdecken, nach der er suchte ... die ihm versprochen worden war.
Es war nur passend, dass er derjenige sein sollte, welchem das Geheimnis zuteil werden sollte, das einst der Magdalena anvertraut worden war – dem faszinierenden, sündigen Weib, die in der Heiligen Schrift als drei verschiedene Frauen in Erscheinung trat: Maria Magdalena, Maria, die Schwester des Lazarus, und die Frau, die mit ihren Tränen die Füße von Christus benetzt und diese mit ihrem Haar getrocknet hatte.
Sie war eine Frau, die für ihre Sünden gebüßt hatte – eine wohlhabende Frau, so wie auch Fantin selbst es war. Eine wohlhabende Frau, die durch die Fleischeslust sündigte ... so wie auch Fantin selbst. Die Frau, bei der
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