Eine zweite Chance
ausnahmsweise antworten würdest.«
Mit diesen Worten verließ er die Glasveranda, den Speisesaal, das Entree und Lindgrens Hotel.
Helena blieb allein in dem schönen Kerzenlicht sitzen. Sie hörte, wie etwas in ihr zerbrach. Wie sich alle Schmerzen, die sie hinter der Brust verdrängt hatte, losrissen und heranwälzten. Jetzt gab es keine Rettung mehr für sie. Sie fiel nach vorne. Die Arme fest um sich selbst geschlungen, wiegte sie sich vor und wieder zurück.
Atmen, nur atmen, die Luft reicht nicht! Jetzt ist der Wahnsinn da, um mich zu holen.
»Helena, versuch, ein bisschen ruhiger zu atmen.« Anders war da, aber er durfte sie nicht sehen. Sie musste ihre Schwäche verstecken. Niemand durfte sie sehen, niemand konnte ihr helfen, sie war eingeschlossen, allein, abgeschnitten. Es gab nichts, nur ein ätzendes Chaos.
»Alles ist gut, Helena, ich bin hier, komm, dann helfe ich dir auf.«
Kapitel 23
Der Mut zu bleiben. Es zu wagen, einem Menschen beizustehen, der innerlich zerbrochen ist. Der Ohnmacht zu begegnen, nichts tun zu können. Trotz des unendlichen Abstands zu der Dunkelheit, in der sich dieser Mensch befindet, zu zeigen, dass er nicht alleine ist.
Zwei Stunden waren vergangen, seit er zu Helena in die Glasveranda gegangen war. Als er sie die Treppe hinaufgeführt, teilweise auch getragen hatte, war sie nicht ansprechbar gewesen. Tief in ihre Verzweiflung eingeschlossen hatte sie es geschehen lassen, aber versucht, sich seinem Blick zu entwinden, als schäme sie sich. Er hatte sie in seinem Zimmer auf das Bett gelegt. Sie zugedeckt und sich gezwungen, den Feigling zu überwinden, der ihm geraten hatte zu fliehen. Sie so sehr leiden zu sehen und unfähig zu sein, ihr zu helfen, hatte ihn tief getroffen. Trotzdem war er geblieben. Erst vor ein paar Tagen war er es selbst gewesen, der da gelegen hatte. Nach dieser Erfahrung verstand er, was sie durchmachte. Und seitdem hatte sich etwas verändert, denn tief in der Dunkelheit hatte er etwas gefunden, was er dachte, längst verloren zu haben.
Behutsam strich er ihr über das Haar. Sie lag immer noch zusammengerollt da wie ein Fötus, aber ihr gehetzter Atem hatte sich beruhigt. Vielleicht war sie endlich eingeschlafen. Unendlich langsam zog er seine Finger zurück, die mit den ihren verflochten waren, und stand auf.
»Geh nicht.«
»Ich will unten alle Kerzen löschen, ich bin in ein paar Minuten zurück.«
Sie protestierte nicht, sondern ließ ihn gehen.
In der Glasveranda standen die Reste des Abendessens noch so da, wie sie sie verlassen hatten. Ein Stillleben von einem Aufbruch. Er ließ die Reste stehen, ging nur herum und löschte die Kerzen, wie er es versprochen hatte. Er wollte zurück zu Helena. Sie brauchte ihn jetzt, und das machte es leichter, den eigenen Missmut in den Griff zu bekommen, der wieder zum Leben erwacht war, nachdem er einige Tage geschlummert hatte. Er war nicht von derselben lähmenden Art wie früher, jetzt fühlte er sich eher an wie eine Warnung. Eine Erinnerung daran, dass es etwas gab, das er vergessen hatte. Denn was hatte sich eigentlich verändert? Was war er sonst, als auf der Flucht? Sein richtiges Leben war immer noch dort, wo er es zurückgelassen hatte, aber er konnte unmöglich zurückkehren.
Er blies die letzte Kerze aus und ging die Treppe hinauf. Dort machte er die Tür zu seinem Zimmer vorsichtig auf. Helena lag noch da, wie er sie verlassen hatte. Die Augen waren geschlossen und der Atem ruhig. Er war dankbar dafür, dass sie sich entschieden hatte zu bleiben. So leise wie möglich zog er die Schuhe aus und ging zum Bett, setzte sich und nahm ihre Hand. Sie schaute auf, und ohne ihn loszulassen drehte sie sich um und machte ihm Platz. Er folgte der Bewegung und legte sich hinter sie, den Bauch an ihrem Rücken und die Beine an den ihren gebeugt. Er spürte, dass sie zitterte, und zog die Tagesdecke über sie. Kroch wieder zu ihr hinein, diesmal noch näher. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie gegen ihre Halsgrube. So blieben sie liegen, weit von allem anderen entfernt. Eine Einsamkeit, in einem Augenblick des Trostes an einen anderen geschmiegt.
Eine Stunde verging, vielleicht zwei. Keiner von ihnen bewegte sich. Manchmal schlummerte er ein, wurde aber von dem Duft ihrer Haare geweckt. Ein Mensch ruhte neben ihm.
Helena.
Er zog sie an sich, in der plötzlichen Angst, sie würde sich ihm entziehen, wenn ihr Versteck von der Morgendämmerung enthüllt würde. Er hatte sie gut genug
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