Eine zweite Chance
brauchte nur die Hand auszustrecken und ihn einzufangen.
Vielleicht waren dem Augenblick kleine Zeichen vorangegangen, die er nicht hatte wahrhaben wollen. Wie der abgewandte Blick. Der strenge Mund. Etwas war in ihrem Blick erloschen, was wieder auflebte, wenn die Rede auf Magnus Bergman kam. Magnus, der auf der Handelshochschule in Stockholm angenommen worden war.
Der es ernsthaft zu etwas bringen wollte.
Sie saßen in ihrem Zimmer auf dem Bett, er wie üblich mit der Gitarre auf dem Schoß, als er plötzlich erkannte, dass eine andere Katarina neben ihm saß als diejenige, die er kannte. Eine Katarina, die zwar die Musik mochte, die aber, wenn es drauf ankam, sie nicht als einen richtigen Beruf ansah. In vagen Worten erklärte sie, das Leben, das sie führen wollte, fordere finanzielle Sicherheit. Sie sagte, sie hätten so verschiedene Vorstellungen, ihre Zukunftsträume stimmten nicht mit den seinen überein. Sie wollte studieren, ihren Abschluss machen, ein Familienunternehmen gründen wie ihre Eltern, das würde nicht funktionieren, wenn er ständig auf Tournee war. Und ehrlich gesagt sei sie es leid, mit ein paar an einem Holzstück befestigten Saiten um seine Aufmerksamkeit konkurrieren zu müssen.
Ein Loch wurde in sein Zwerchfell geschlagen. Sein Versuch, eine Lösung zu finden, wurde weggewedelt wie irritierender Rauch. Ihre plötzliche Kälte bereitete ihm Atemnot. Obwohl sie eben noch ihren selbstverständlichen Platz in seinem Herzen gehabt hatte, befand sie sich nun plötzlich außer Reichweite.
Sie schien unerbittlich in ihrem Entschluss. Alles, was er sagte, wurde rasch von neuen Argumenten übertrumpft, die sie lange für diesen Moment vorbereitet hatte. Als er sie anflehte, wurde sie beinahe wütend. Sie schien das Gespräch rasch hinter sich bringen zu wollen, um seine Erniedrigung nicht sehen zu müssen. Bei seiner vergeblichen Jagd nach einer Lösung schwankte er zwischen Zorn und Verzweiflung.
Es vergingen Stunden, die Nacht wurde schon zum Morgen, und alles, was ein Mensch tut, um nicht verlassen zu werden, ohne Rücksicht auf die eigene Würde, tat er in dieser Nacht.
Er bot sogar an, mit dem Gitarrenspiel aufzuhören und sich stattdessen eine richtige Arbeit zu suchen.
Erst im Morgengrauen gab sie erschöpft zu, wie es tatsächlich aussah.
Es gab Augenblicke, die ihn gezwungen hatten, die Richtung zu wechseln. Einige davon waren ihm als tonangebender Bestandteil geblieben.
Einer dieser Augenblicke war es, als ihre Lippen diesen Namen formten. Als sie erklärte, er sei durch Magnus Bergman ersetzt worden.
Er weigerte sich, den Schmerz zuzulassen. Der Raum voller bodenloser Trauer war seit zehn Jahren verrammelt und verriegelt, jetzt wurde ein Querbalken angebracht, um den neuen Schmerz fernzuhalten. Stattdessen breitete er sich in den Verstecken aus, die sich boten.
Der Sturm legte sich, als hätte er ihn nie betroffen. Ein befreiendes Gefühl von Gleichgültigkeit.
Genau wie Katarina war er ein anderer geworden.
Drei Erinnerungen hielten sich. Die beruhigenden Geräusche des Hauses, das er unvorsichtigerweise zu dem seinen gemacht hatte. Das Schnauben, als sie ihn fragte, was für einen Job er nach dem zweijährigen Musikschwerpunkt auf dem Gymnasium zu bekommen glaubte. Und die Gitarre, die er weggelegt hatte, von einer notwendigen Voraussetzung plötzlich in eine trügerische Zerstörerin verwandelt.
Nein, das Glück war nicht erlaubt. Der Ursprung für seine Leidenschaft war ein schmerzhafter Verlust gewesen, aus dem sich nun ein Glücksgefühl entwickelt hatte. Es war an der Zeit zu bezahlen, Verlust gegen Verlust schien gerecht.
Als er ging, um nie mehr jemanden aus der Familie zu sehen, hatte sein Leben eine neue Bestimmung bekommen – Katarina würde ihren Entschluss bereuen und eines Tages einsehen, dass sie die falsche Wahl getroffen hatte.
Irgendwo hat alles seinen Anfang.
Achtundzwanzig Jahre später lag er da und starrte auf eine Uhr in der Intensivstation des Krankenhauses von Sundsvall und dachte, dass es im Nachhinein schwierig sei, das Huhn vom Ei zu unterscheiden. Er erinnerte sich, irgendwo gelesen zu haben, dass es für den Charakter genauso schädlich ist, wenn einem alles gelingt, was man sich vornimmt, wie, wenn man es nie versuchen würde. Und vielleicht war das der Grund, warum seine gesamte Antriebskraft ihn verlassen hatte. Denn erfolgreich war er wahrlich gewesen. Damals, vor achtundzwanzig Jahren, musste er lediglich seine Sturheit beim Üben
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