Eine zweite Chance
ganzen Persönlichkeit. Sich immer eine Hintertür offen zu lassen. Wenn Menschen angefangen hatten, langfristige Pläne zu schmieden und Garantien für die Zukunft zu verlangen, war das ein Zeichen dafür, dass sie an dem gemeinsamen Projekt zweifelten. So hatte er gelebt und dabei so viele Hintertüren benutzt, dass er jetzt allein in einem verschlossenen Innenhof stand.
Zu sagen, er sei schlecht in Liebesbeziehungen, war eine Untertreibung. Mehrere von seinen Frauen hatten das behauptet. Mia war besonders überzeugend gewesen, obwohl sie länger ausgeharrt hatte als die anderen. Sie hatte versucht, auf einer psychologischen Ebene Verbindungen zu dem Tod seiner Mutter zu ziehen, und die These aufgestellt, dass alle das schützen wollten, was bereits beschädigt worden war, niemand wolle dort schlagen, wo es schon wehtat. Aber schließlich hatte auch sie aufgegeben. Was im Nachhinein verständlich war. Ein Mensch schafft es nicht, immer wieder vernachlässigt zu werden, ohne selbst unterzugehen. Darüber hatte sie ihn auch informiert, als er vergessen hatte, von London aus anzurufen, wohin er trotz des Versprechens, sie zu ihrem Geburtstag zum Essen einzuladen, gefahren war. Als er nach Hause kam, hatte sie ihre Sachen gepackt und war ausgezogen.
Wahrscheinlich war sie trotzdem diejenige, die ihm am nächsten gekommen war. Sie war es, die er fast geheiratet hätte. Aber nachdem sie ihn verlassen hatte, war es ihr Körper, der ihm am meisten fehlte. Vielleicht nicht der Sex selbst, aber sie nachts an seiner Seite zu haben, eine Gesellschaft in der Einsamkeit der Dunkelheit. Er hatte es nie gemocht, allein zu schlafen.
Als das Gespräch auf Helenas Ehe gekommen war, leerte sie den Rest des Weins. Ihr Finger fing einen flüchtenden Tropfen auf, und er verfolgte, wie sie ihn zu ihrem Mund führte, wo er die Spitze ihrer Zunge ahnte. Das Thema schien sie zu stören, ihre Gesten wurden ausholend und ihre Stimme schroff.
Sechs Monate Bedenkzeit, um sich scheiden zu lassen. Für jemanden wie sie musste es schwer sein, sich zu gedulden, so rationell und zielstrebig wie sie war. Er hatte angenommen, dass sie es war, die den Entschluss gefasst hatte. Die Frau, die wusste, was sie wollte, die sich nie mit etwas Mittelmäßigem zufriedengeben würde. Ihre ganze Person schien aus Willenskraft zu bestehen. Bei näherer Betrachtung kam ihm in den Sinn, wie wenig er eigentlich von ihr wusste. Mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, vielleicht aus Mangel an Interesse, hatte er nur das wahrgenommen, was er auf den ersten Blick sah.
Jetzt hatte sie seine Neugier geweckt. Eine ganz neue Seite zeigte sich hinter dem, was so offensichtlich schien. All ihre Geheimnisse waren mit einem Mal so verlockend, das, was sich hinter ihrem kontrollierten Verhalten versteckte. Bisher hatte er sie nicht besonders spannend gefunden, nicht so genau hingesehen, sein Interesse war an ihrem Drang, sich selbst zu behaupten, abgeprallt. Sie hatte etwas Stacheliges, einen automatischen Selbstschutz. Er bekam Lust, die Person herauszufordern, die sich dahinter versteckte. Er beugte sich vor, stützte das Kinn auf die Faust und fragte sie, was sie tun würde, falls der Ehemann es bereute.
Ihr Seufzer kam aus der Tiefe. Das Gesicht fiel in sich zusammen und enthüllte ein trauriges Mädchen, das er in eine Ecke gedrängt hatte. Er nahm die Veränderung wahr und verfluchte im Stillen seine Plumpheit. Entschuldigung, wollte er sagen , du musst nicht über ihn reden. Wir müssen nicht über etwas reden, was wir nicht selber wollen. Das ist der Grund dafür, dass ich hier bin, dass wir nicht Rechenschaft ablegen oder etwas erklären müssen.
Stattdessen saß er schweigend da und beobachtete die Verletzlichkeit, die er hervorgelockt hatte. Plötzlich bekam er Lust, die Hand auszustrecken und ihr Gesicht zu berühren, mit dem Finger über die ersten vagen Anzeichen des Alters zu streichen. Die Linien auf ihrer Stirn, die kleinen Fältchen um die Augen herum. Erfahrungen, die vorbeigezogen waren und Spuren hinterlassen hatten.
Doch sein Impuls wurde von ihrer Frage schroff zur Seite gedrängt: »Warum warst du nicht gut in Liebesbeziehungen?«
Er sah, dass sie wieder da war, die Frau mit der automatischen Selbstverteidigung. »Hoppla! Und schon ändern wir das Gesprächsthema.«
»Nein, wir haben nur den Fokus etwas nach Westen verschoben.«
Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Ist das Westen?«
»Na, erzähl du mir was von
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