Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
Vom Netzwerk:
das Gemälde an und dann Verner. »Wie bitte, wie meinen Sie das?«
    »Das ist das einzige Bild, das ich habe.« Verner beugte sich hinunter und tauchte den Pinsel in eine Dose mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. »Erst male ich, dann kratze ich das meiste ab und überpinsele es mit Deckweiß. Wenn es nur einen Tag trocknet, ist es ganz leicht, etwas Neues zu malen.« Er nahm einen Lappen aus dem Rucksack und wischte sorgfältig den Pinsel ab, ehe er ihn in neue Farbe tauchte.
    Anders tat sein Bestes, um eine Logik in Verners Erklärung zu finden. »Sie meinen also, Sie wollen das hier übermalen?«
    »Nein, wirklich nicht. Gerade dieses will ich behalten.«
    »Aber warum tun Sie das? Sie könnten Ihre Bilder doch verkaufen?«
    »Ich weiß.«
    »Ja aber, warum tun Sie es dann nicht? Was Sie da machen, ist doch reine Zeitverschwendung.«
    Verner sagte nichts.
    »Wenn Sie dieses eine verkaufen, könnten Sie sich eine Menge Leinwände anschaffen. Sie könnten sie ausstellen und Ihre Kunst in Galerien zeigen. So gut, wie Sie sind, könnten Sie bestimmt eine Menge Bilder verkaufen.«
    »Ich weiß.«
    Genau wie beim letzten Mal, als sie sich trafen, geriet Anders in immer größere Verwirrung. Ein Gespräch mit Verner folgte keiner vernünftigen Ordnung. Unversehens wich es auf ein Gebiet aus, in dem keine Regeln mehr galten. Keine Antwort war vorhersehbar. Alles musste nach Wahrscheinlichkeiten berechnet werden.
    Er machte einen neuen Versuch zu verstehen. »Aber warum tun Sie es dann nicht?«
    Verner hob den Pinsel und hielt ihn vor das Motiv, schloss ein Auge und verglich die Farben. Obwohl keine auf dem Bild der Wirklichkeit nahekam. »Weil es das Malen ist, das Spaß macht.«
    »Aber wenn Sie Ihre Bilder verkaufen würden, könnten Sie ja die ganze Zeit malen.« Verner lächelte, und Anders fasste das als eine Ermunterung zum Fortfahren auf. »Und wenn auch nur, um ein paar Groschen zu verdienen.«
    Verner ließ eine tückische Wurzel über die Vortreppe des einen Hauses schlängeln. »Was lässt Sie glauben, dass ich einen Groschen brauche?«
    Jetzt erkannte Anders, dass er sich auf demselben dünnen Eis befand, auf das er bei ihrem letzten Treffen geraten war. Deshalb entschied er sich, nicht zu antworten. Stattdessen stand er still da und betrachtete Verner, der angefangen hatte, seine Malerutensilien einzusammeln. Es blieb eine ganze Weile still, bis Verner plötzlich das Wort ergriff.
    »Ich habe gezeichnet und gemalt, so lange ich denken kann. Als Kind hatte ich immer einen Bleistiftstummel und ein Stück Papier in der Tasche. Ich wurde früh ein Betrachter, einer, der oft danebensteht und beobachtet, das Zeichnen wurde zu meiner Art, die Welt in den Griff zu bekommen. Wenn mich etwas traurig machte oder wenn ich etwas sah, das ich nicht verstand, wurde es stets leichter, wenn ich es zeichnete. Und ehrlich gesagt gab es damals vieles, was mich traurig gemacht hat.« Er stellte alle Pinsel, die er benutzt hatte, in die Dose mit der Flüssigkeit. Einer nach dem anderen wurde an dem Lappen abgewischt. »Meine Mutter war erst vierzehn Jahre alt, als ich geboren wurde, und das war natürlich ein Skandal, aber damals gab es ja keine Verhütungsmittel. Wer mein Vater war, habe ich nie erfahren. In den Kirchenbüchern steht ›Vater unbekannt‹.« Ein Pinsel nach dem anderen verschwand im Außenfach des Rucksacks. »Dass ich außerdem war, wie ich war, machte die Sache noch viel schlimmer. Damals nannte man das Behindertenanstalt, wo man Kinder hinschickte, bei denen man fand, dass sie eine Macke hätten. Im Volksmund sagt man immer noch Irrenanstalt. Ich war sieben, als sie mich weggeschickt haben, sie haben sich nicht getraut, mich in der Dorfschule vorzuzeigen. Aber ich hatte meinen Bleistift und meinen Block, und das hat mir dabei geholfen, die Jahre zu überstehen.« Anders stand mucksmäuschenstill da und hörte ihm aufmerksam zu, ängstlich, dass Verner verstummen würde, wenn er auch nur die kleinste Regung zeigen würde. Er freute sich darauf, Helena davon erzählen zu können. »Mit vierzehn fuhr ich zur See, zu Hause war ich nicht willkommen, und es gab auch nichts, was mich hielt, also brach ich auf, um die Welt zu entdecken. Aber auf See zu sein, ist ein hartes Leben für einen dünnen kleinen Jungen. Sobald ich ein Stündchen für mich hatte, habe ich gezeichnet. Es gab keinen Knoten oder Seemann an Bord, die nicht in meinem abgegriffenen Skizzenblock abgebildet worden sind. Und die ganze Zeit hatte

Weitere Kostenlose Bücher