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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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des anderen wiederfand. Ich kam mir vor wie ein Pingpongball. Verzweifelt hielt ich nach Kitty Ausschau, bis ich sie in Lance’ Armen entdeckte. Sie schien sich großartig zu amüsieren. Jetzt bloß keine Szene machen . Ich spürte, wie eine Hand meine Brust streifte. Wer war das? Ich erstarrte, auch wenn meine Beine sich weiterbewegten. Während ich mich panisch umschaute, kniff mich eine Hand in die Taille. Alles um mich herum schien sich zu drehen. Überall waren Männer. Lüstern, verschwitzt. Die Luft war heiß und feucht. Ich wollte schreien, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Plötzlich entstand ein Gedränge, und dann hörte ich ein lautes Geräusch. Jemand war zu Boden gefallen. Die Musik brach ab, und alle drängten sich um den Mann, der mich auf die Tanzfläche gezerrt hatte. Er lag bewusstlos am Boden. Blut lief ihm aus der Nase.
    Ich schob mich durch die Menge und flüchtete mit gesenktem Kopf von der Tanzfläche. Ich fühlte mich schuldig, obwohl ich nichts getan hatte. Ich wollte nicht, dass mir jemand folgte. Eilig ging ich in Richtung unserer Unterkunft und fiel in einen Laufschritt, als ich an der Baracke der Männer vorbeikam. Meine Augen füllten sich mit Tränen, während der Wind durch die Palmen über mir heulte. Es klang so fremd, so seltsam. Ich sehnte mich nach dem Walnussbaum in unserem Garten in Seattle. Ich sehnte mich nach zu Hause.
    Ein Geräusch im Gebüsch erschreckte mich, und instinktiv bog ich ab in Richtung Lazarett. Ohne Kitty an meiner Seite kamen mir der kaum erleuchtete Weg und die tropische Nacht auf der Insel schrecklich gefährlich vor. Kitty . Plötzlich machte ich mir Sorgen, weil ich sie allein dort zurückgelassen hatte. Aber nein, ihr würde schon nichts passieren, redete ich mir ein. Dieser Lance schien ein anständiger Kerl zu sein.
    Im Lazarett brannte Licht, und ich rechnete damit, Schwester Hildebrand an ihrem Schreibtisch anzutreffen. Stattdessen saß dort ein Mann, und zwar derselbe, der mir beim Mittagessen in der Kantine aufgefallen war.
    Schüchtern erwiderte ich sein Lächeln.
    »Hallo«, sagte er. »Erschrecken Sie nicht. Ich suche nur nach einem Verband. Ich dachte, ich könnte hier einen finden, aber Sie scheinen sie gut versteckt zu haben.«
    Ich kniff die Augen zusammen und sah, dass seine Hand blutete. Ich ging zu der Kiste mit den Verbänden, die wir am Nachmittag aufgerollt hatten. »Hier«, sagte ich und nahm einen heraus. »Ich helfe Ihnen.«
    Ich unterdrückte meine Verlegenheit. Schließlich war ich Krankenschwester, und er war ein Patient. Es gab überhaupt keinen Grund, die Situation peinlich zu finden, es unschicklich zu finden, dass ich nach Einbruch der Dunkelheit mit diesem Mann allein in dem Raum war.
    »Wie ist das passiert?«, fragte ich, während ich die Wunde mit Alkohol desinfizierte.
    Er zuckte zusammen, aber das Lächeln blieb. »Haben Sie das nicht gesehen?«
    »Was denn?«
    »Ich konnte es nicht mit ansehen, wie Randy Connors Sie auf der Tanzfläche begrapscht hat«, sagte er.
    »Mich begrapscht? Also wirklich …«
    »Na ja, er konnte seine Hände jedenfalls kaum von Ihnen lassen.«
    Er hatte nur gesagt, was für alle sichtbar gewesen war, aber ich senkte peinlich berührt den Kopf.
    Der Soldat hob mein Kinn an. »Deswegen habe ich ihn niedergeschlagen.«
    Ich lächelte. »Ich verstehe«, sagte ich, um Fassung bemüht. Ich hoffte inständig, dass er die Tränen in meinen Augen nicht sah. »Sie waren das also. Dann bin ich Ihnen wohl Dank schuldig.«
    »Sie dürfen das den Männern nicht übel nehmen«, sagte er. »Die haben seit Monaten, manche noch länger, keine Frau wie Sie mehr gesehen. Wir sind schon viel zu lange auf dieser Insel hier.«
    Mir fiel das Wort wieder ein, das der Soldat benutzt hatte, wahine . Es hatte ziemlich ordinär geklungen.
    »Wissen Sie zufällig, was wahine bedeutet?«, fragte ich.
    Seine Augen funkelten. »Natürlich«, sagte er. »Das ist das tahitianische Wort für Frau .«
    Ich nickte. »Tja, meinetwegen können diese Kerle seit hundert Jahren keine Frau mehr gesehen haben. Das ist kein Grund, so grob zu werden.«
    »Natürlich nicht«, sagte er. »Deswegen halte ich mich nach Möglichkeit von den meisten fern. Aber es gibt hier auch ein paar anständige Männer. Sie müssen lernen, den Soldaten gegenüber ganz direkt zu sein. Zu Hause können Sie sich schüchtern geben, da können Sie mit Anstand und guten Manieren rechnen. Aber hier ist das anders. In den Tropen werden wir alle zu Wilden.

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