Einem Tag mit dir
Die Insel nimmt einem die Hemmungen. Sie verändert einen. Warten Sie’s nur ab.«
»Na ja«, murmelte ich, während ich den Verband so anlegte, wie ich es gelernt hatte. »Ich glaube, dass man nur verändert werden kann, wenn man das auch will. Vielleicht haben Sie schon mal etwas vom freien Willen gehört.«
»Sicher«, erwiderte er amüsiert. »Ich sage nur, dass dieser Ort die Wahrheit über die Menschen zum Vorschein bringt und dazu führt, dass wir uns zeigen, wie wir wirklich sind.«
Ich befestigte den Verband mit einer Aluminiumklam mer und atmete tief aus. »Tja, da bin ich mir nicht so sicher«, sagte ich. »So, der Verband ist fertig.«
»Ich bin Westry«, sagte er und streckte mir seine verbundene Hand entgegen. »Westry Green.«
»Anne Galloway«, erwiderte ich und schüttelte ihm vorsichtig die Hand.
»Wir sehen uns.« Er ging zur Tür.
»Wir sehen uns«, sagte ich und sah etwas Rotes in seiner Hand aufscheinen. Als die Tür sich hinter ihm schloss, fasste ich mir ins Haar. Die Hibiskusblüte war weg.
4
W ie spät bist du denn heute Nacht ins Bett gekommen?«, fragte ich Kitty am nächsten Morgen, als sie sich endlich rührte. Ich lag lesend im Bett und war schon seit mindestens zwei Stunden wach.
Sie warf einen Blick auf die Uhr, dann ließ sie den Kopf wieder auf ihr Kissen sinken. »Spät«, murmelte sie in das Kissen hinein.
»Es ist schon fast neun«, sagte ich, froh darüber, dass wir an einem Freitag auf der Insel eingetroffen waren. »Und ich werde nicht zulassen, dass du unseren einzigen freien Tag verschläfst! Hopp, hopp, aufstehen!«
Sie setzte sich gähnend auf. »Ist es wirklich schon neun?«
»Ja, du Schlafmütze.« Ich stand auf und trat an den Schrank. Ich hatte vor, den Strand zu erkunden, und wollte etwas Leichtes anziehen.
Kitty sprang auf. »Ich muss mich beeilen«, sagte sie. »Lance nimmt mich heute mit in die Stadt.«
Kitty merkte mir meine Enttäuschung an.
»Willst du nicht mitkommen?«, sagte sie. »Die Einladung gilt auch für dich.«
»Und das fünfte Rad am Wagen spielen?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein danke. Fahrt ihr lieber allein.«
Kitty knöpfte sich das Nachthemd auf, ließ es zu Boden fallen und entblößte ihre perfekten Brüste. »Du kommst schön mit«, sagte sie. »Lance nimmt einen Jeep. Stella und Elliot sind auch dabei.«
»Was?«, sagte ich. »Wie hat sie das denn geschafft?«
»Stella musste nicht viel tun«, antwortete Kitty. »Lance hat ihn eingeladen.«
Ich zog die Vorhänge zu, um Kittys nackten Körper vor neugierigen Männerblicken zu schützen. »Kommt sonst noch jemand mit?«, fragte ich. Ich dachte an Westry.
»Nein, ich glaube nicht«, sagte Kitty, während sie den Kleiderschrank inspizierte. »Oder würdest du gern jemand Bestimmtes mitnehmen?«, fragte sie mit einem neckischen Unterton.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hatte bloß an Mary gedacht.«
Kitty reagierte nicht.
»Hast du sie gestern Abend gesehen?«
»Nein«, sagte sie und zog ein taubenblaues Kleid mit kur zen Ärmeln aus dem Schrank. »Was hältst du von dem?«
»Genau das Richtige«, antwortete ich, machte mir jedoch weniger Gedanken über Kittys Garderobe als über die Sicherheit unserer neuen Freundin. »Meinst du nicht, wir sollten mal bei Schwester Hildebrand nachfragen und uns vergewissern, dass Mary nichts zugestoßen ist?«
Kitty zuckte die Schultern und hielt ein Paar braune Pumps hoch. »Ja oder nein?«
»Nein«, sagte ich. »Zieh die blauen an. Deine Füße werden es mir danken.«
Sie hakte ihren Büstenhalter ein, schlüpfte in einen weißseidenen Unterrock und zog ihr Kleid an.
»Erzähl mir von Lance«, sagte ich vorsichtig, während ich ihren Reißverschluss hochzog. »Magst du ihn?«
»Ja«, antwortete Kitty, wenn auch erst, wie mir schien, nach kurzem Zögern. »Er ist sehr nett.«
»Hast du gestern Abend eigentlich mit dem Colonel ge tanzt?«, fragte ich und nahm ein schlichtes braunes Kleid aus dem Schrank.
Kitty nickte. »Ja«, sagte sie lächelnd. »Und es war großartig. Lance war nicht gerade begeistert, aber er konnte ja schlecht seinen Vorgesetzten zurechtweisen.«
Ich betrachtete mich in dem ovalen Wandspiegel. Meine Wangen waren von der Morgenhitze bereits gerötet, und meine Haare sahen furchtbar aus. Bei der Feuchtigkeit waren sie einfach nicht zu bändigen, und ich befestigte sie seufzend mit einer Spange im Nacken. Ich würde sowieso einen Sonnenhut aufsetzen.
»Fertig?«, fragte Kitty und schnappte sich ihre Hand
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