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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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um einen Stein oder eine Muschel zu betrachten oder eine der vielen Palmen zu bewundern, deren Stämme teilweise so gekrümmt waren, dass es den Anschein hatte, als müssten sie jeden Moment ins Wasser stürzen. Wind und tropische Stürme hatten die Stämme über die Jahre hinweg auf diese Weise geformt, aber ich stellte mir vor, dass sie so wuchsen, weil das Meer sie rief. Es erinnerte mich an das, was Westry über die Insel gesagt hatte, dass sie die Menschen veränderte. Würde ich dem Einfluss der Insel widerstehen können?
    Ich stemmte die Füße in den Sand und ging weiter. Nach dem Vormittag auf dem Markt tat es gut, mit meinen Gedanken und dem Rauschen der Wellen allein zu sein. Der menschenleere Strand schien sich endlos hinzuziehen. Ich ging näher ans Wasser, genoss das Gefühl des kühlen, nassen Sands unter meinen Füßen. Bei jedem Schritt hinterließ ich einen zentimetertiefen Abdruck.
    Ich hörte ein Krächzen und schaute mich um. Ein Vogel hockte auf einem Felsbrocken in der Nähe. Im Sand davor entdeckte ich Fußspuren, nicht ganz so tief wie meine, aber ziemlich frisch. Wem mochten sie gehören?
    Es wäre albern, ihnen zu folgen, sagte ich mir. Womög lich stammten sie von einem Eingeborenen. Einem Kanni balen. Ich schüttelte den Kopf. Ich war allein und sollte mich am besten schleunigst auf den Rückweg machen. Aber die Spur lockte mich weiter, ich konnte einfach nicht widerstehen. Nur ein paar Schritte …
    Die Spur führte zu einer zerknitterten beigefarbenen Decke, die nur von einem Buch auf dem Boden gehalten wurde. Es war dieselbe Art Decke, wie sie auf meinem Bett in unserem Zimmer lag. Wer hatte sie hier ausgebreitet?
    Ich fuhr herum, als ich ein Rascheln im Gebüsch unter den Palmen hörte.
    »Hallo«, sagte ein Mann, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Er trug einen großen Palmwedel, der sein Gesicht verdeckte, aber als er ihn ablegte, erkannte ich Westry.
    »Hallo«, sagte ich überrascht und zugleich erleichtert darüber, dass mir eine Begegnung der unangenehmeren Art erspart geblieben war.
    »Verfolgen Sie mich etwa?«, fragte er augenzwinkernd.
    Zuerst kam ich mir albern vor, aber dann ärgerte mich seine Frage. »Natürlich nicht!«, entgegnete ich empört. Ich durfte nicht zulassen, dass er so etwas von mir dachte. »Ich habe nur einen Spaziergang gemacht – und jetzt muss ich zurück. Meine Freunde warten auf mich.«
    Westry lächelte. »Bleiben Sie doch noch ein bisschen«, sagte er, steckte den Palmwedel in den Sand und setzte sich auf die Decke. »Sehen Sie? Ein perfekter Sonnenschirm. Wollen Sie sich nicht ein bisschen zu mir setzen?«
    Sein Lächeln war unwiderstehlich. Ich spürte, wie meine Mundwinkel sich unwillkürlich nach oben bewegten. »Also gut«, sagte ich und musste lächeln. »Aber nur ein paar Minuten.«
    »Schöner Tag«, bemerkte er und stützte sich auf die Ellbogen.
    »Ja«, sagte ich, ließ mich nieder und zog den Rocksaum über meine Fußknöchel.
    »Was führt Sie an meinen Strand?«
    »An Ihren Strand?«
    »Ja«, erwiderte er trocken. »Ich habe ihn entdeckt.«
    Ich musste lachen.
    »Die ganze Küste ist unberührt«, fuhr er fort. »Natürlich sind die Eingeborenen schon immer hier gewesen, und die Insel wird ihnen immer gehören. Aber der Rest der Welt ahnt nichts von diesem Strand, das heißt vorerst gehört dieses kleine Stück Paradies mir.« Er schaute mich an. »Oder uns. Ich gebe Ihnen die Hälfte ab.«
    »Das ist aber sehr großzügig von Ihnen«, sagte ich.
    »Wissen Sie, was ich mache, wenn der Krieg vorbei ist?«
    »Nein, was denn?«
    »Ich werde diesen Strand hier kaufen«, sagte er ernst. »So viel davon, wie ich mir leisten kann. Ich werde ein Haus bauen und eine Familie gründen, und zwar genau hier. Meine Frau und ich werden jeden Morgen von unserer Veranda aus den Sonnenaufgang betrachten und jeden Abend auf das Rauschen der Wellen lauschen.«
    »Das klingt sehr romantisch«, sagte ich. »Aber ich glaube Ihnen kein Wort. Würden Sie wirklich hier leben wollen« – ich zeigte auf das Meer, wo vielleicht gerade ein paar japanische Kriegsschiffe in Position gingen – »nach all dem? Nach dem Krieg?«
    Westry nickte. »Na klar«, sagte er. »Das ist das Paradies.«
    Da hatte er recht, das musste ich zugeben. »Wartet denn zu Hause niemand auf Sie?«
    »Nein«, antwortete er, ohne zu zögern. »Aber auf Sie schon.«
    Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Er hatte den Ring an meinem Finger gesehen.
    »Ja«, sagte ich

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