Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
Vom Netzwerk:
ehrlich.
    »Lieben Sie ihn?«
    »Was ist das denn für eine Frage?«
    »Eine ganz einfache«, erwiderte er lächelnd. »Also, wie lautet die Antwort?«
    »Natürlich liebe ich ihn«, sagte ich und wandte mich ab. Wieso schaute er mich so an?
    »Ist er ein anständiger Kerl?«
    Ich nickte. »Würde ich ihn sonst heiraten?«
    Die Wellen krochen immer näher an die Decke heran, und Westry stand auf. Ich tat es ihm nach. »Am besten, wir verrücken unser Lager ein bisschen, wenn wir nicht vom Meer verschlungen werden wollen.«
    Ich lächelte. »Ich muss jetzt wirklich gehen. Meine Freunde warten.«
    Westry nickte. »Ich begleite Sie.«
    Auf dem Rückweg wirkte die Küste ganz anders, vielleicht, weil ich sie jetzt mit Westrys Augen sah. Ich stellte mir vor, wie er hier auf der Insel lebte, in einem selbst gebauten Haus mit einer Frau und zwei, drei barfüßigen Kindern. Ich musste schmunzeln.
    »Wie geht es Ihrer Hand?«, fragte ich.
    Er hielt sie hoch, und ich nahm sie, um sie zu begutach ten. Ich spürte ein Kribbeln im Bauch, das ich zu igno rieren versuchte.
    »Ich schätze, ich werde es überleben«, scherzte er.
    »Der Verband ist ja ganz schmutzig«, schalt ich ihn. »Den werden wir wechseln, sobald wir zurück sind. Am Ende entzündet sich die Wunde noch.«
    »Jawohl, Schwester«, sagte er grinsend.
    Kurz darauf zeigte Westry auf etwas, das im Gestrüpp zwischen den Palmen verborgen war. Wir gingen ein bisschen näher. Vögel kreischten, und Tiere heulten unter dem Dach aus gigantischen Blättern. Genauso hatte ich mir immer einen Dschungel vorgestellt.
    »Sehen Sie das?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Was denn?«
    »Sehen Sie genauer hin«, sagte er.
    »Nein«, flüsterte ich. »Ich sehe nichts.«
    Westry nahm meine Hand, und ich ließ es geschehen, aber nur, weil ich mich fürchtete. Er führte mich in das Dickicht hinein, und nach wenigen Schritten sah ich, was er gemeint hatte: eine mit Palmwedeln gedeckte Hütte. Ob wohl sie ebenso behelfsmäßig wirkte wie die Hütten am Straßenrand, besaß sie einen ganz eigenen Charme. Die Wände bestanden aus Bambusstangen, in die jemand sorgfältig zwei Fensteröffnungen hineingesägt hatte, die aufs Meer hinausgingen. Eine kleine Tür hing schief an einem einzigen Scharnier und quietschte in der leichten Brise.
    »Vielleicht sollten wir lieber wieder gehen«, flüsterte ich.
    »Warum denn?«, entgegnete er mit einem spitzbübischen Lächeln. »Jetzt, wo wir die Hütte entdeckt haben, sehen wir auch nach, was drin ist.«
    Ehe ich protestieren konnte, trat Westry auf die kleine Stufe vor der Tür. Sein Stiefel machte ein so lautes Geräusch auf dem Holz, dass ich vor Schreck zurückwich.
    Er hob die Tür aus dem Scharnier, stellte sie ab und schaute hinein. Dann drehte er sich zu mir um und zwinkerte mir zu: »Die Luft ist rein.«
    Er half mir über die Schwelle, und wir sahen uns schwei gend um. Die Innenwände aus miteinander verwobenen Palmwedeln, die von der Sonne ausgebleicht waren, hatte jemand in einem hübschen Fischgrätmuster gestaltet. Davor standen ein Stuhl aus dunklem Mahagoniholz und ein kleiner Schreibtisch mit einer Schublade. Westry zog die Schublade auf und entnahm ihr ein Buch, ein paar französische Münzen und Geldscheine und ein vergilbtes, von der Feuchtigkeit gewelltes Blatt Papier, das er mir hinhielt, damit ich es betrachten konnte. »Können Sie Französisch?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. »Leider habe ich in der Schule nicht genug aufgepasst.«
    »Ich auch nicht«, sagte er und legte den Zettel zurück in die Schublade.
    Das Bett, gerade groß genug für einen, war gemacht, wenn auch von einer dicken Staubschicht überzogen. Es war, als wäre jemand eines Morgens aufgestanden, hätte das Bett ordentlich gemacht in der Erwartung, sich am Abend wieder darin schlafen zu legen, und war nie wieder nach Hause zurückgekehrt.
    Ich schaute mich in der Hütte um, krampfhaft bemüht, Westry nicht anzusehen. Hier stand ich, eine verlobte Frau, allein in einem Schlafzimmer mit einem Soldaten, den ich überhaupt nicht kannte.
    Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als eine Spinne von der Größe meiner Handfläche unter dem Bett her vorgekrochen kam und nach draußen flitzte. Ich stieß einen Schrei aus und sprang entsetzt auf das Bett. »Haben Sie die gesehen?«, schrie ich, überzeugt, dass gleich die nächste Spinne aus einer Ritze kommen würde.
    »Die sind harmlos«, sagte Westry grinsend. »Außerdem fressen sie Moskitos, wir sollten

Weitere Kostenlose Bücher