Einem Tag mit dir
sie sich wahrscheinlich gleich am ersten Tag auf der Insel eingefangen.«
»Malaria«, wiederholte ich leise. Das Wort klang so fremd, wie aus einer anderen Welt, und doch drohte diese Krankheit eine junge Frau dahinzuraffen, die wir noch nicht einmal richtig kennengelernt hatten, die noch ihre ganze Zukunft vor sich hatte, die in den Südpazifik gekommen war, um ein neues Leben zu beginnen, und nicht, um zu sterben.
»Das Fieber ist zurückgegangen«, sagte Dr. Livingston, »aber ich fürchte, dass ihr Herz angegriffen ist. Wir können jetzt nur abwarten.«
Meine Hände zitterten. »Aber sie wird es schaffen«, sagte ich. »Sie wird es überstehen. Sie muss.«
Dr. Livingston schaute weg.
Die arme Mary. Sie war groß, vielleicht ein bisschen zu groß. Sie hatte schiefe Zähne und ein gebrochenes Herz. Ihr Verlobter hatte sie sitzen lassen, und sie hatte sich einsam gefühlt, wie sie uns erzählt hatte. Nein, ich würde sie hier nicht allein sterben lassen, dachte ich.
»Kitty«, sagte ich, »würdest du mir meine Brille holen und irgendwas zum Lesen? Bring mir meinetwegen den verdammten War Digest , wenn es sonst nichts gibt.«
Kitty nickte.
»Wir werden hier Wache halten«, sagte ich. »Kann ich noch ein Bett aufbauen und die Nacht hier verbringen?«, fragte ich Schwester Hildebrand.
Sie war einverstanden.
Kitty brachte mir zwei Zeitschriften und drei Bücher – zwei von Liz, das dritte von Stella –, außerdem ein Exemplar des War Digest und für alle Fälle ein Lehrbuch für Krankenschwestern.
»Danke«, sagte ich, während ich ein Buch mit einem zerfransten Rücken betrachtete. »Wir beide werden ihr ab wechselnd vorlesen. Bis sie wieder zu sich kommt oder …«
Kitty nahm meine Hand. »Anne, du kannst sie nicht retten, wenn sie …«
»Ich werde sie nicht allein sterben lassen«, erwiderte ich und wischte mir eine Träne ab. »Das hat niemand verdient.«
Kitty nickte.
Ich legte das Buch weg und nahm eine Vogue mit Rita Hayworth auf dem Titelblatt zur Hand. Ich schlug das Heft auf und begann, aus einer Anzeige vorzulesen: »Mit einer schönen Figur in den Frühling! Wenn Sie nicht viel Geld für Kleidung ausgeben und die neue Mode mit Eleganz und Stil tragen wollen, sollten Sie sich jetzt Ihres Winterspecks entledigen. Mit Bile Beans werden Sie ›schlank im Schlaf‹! Nur zwei Pillen pro Abend, schnel le Resultate, keine Nebenwirkungen …«
Ich las vier Stunden lang, Seite für Seite, Wort für Wort, bis mir die Buchstaben vor den Augen verschwammen. Dann löste Kitty mich ab. Nach Sonnenuntergang schal tete sie eine kleine Lampe auf dem Tisch neben dem Krankenbett ein, und vier Stunden später, als sie schon fast heiser war, übergab sie wieder an mich.
Als am nächsten Morgen, nachdem wir drei Zeitschriften und drei Viertel eines Romans vorgelesen hatten, die ersten Sonnenstrahlen durch die Fenster des Lazaretts fielen, flatterten Marys Lider.
Langsam öffnete sie die Augen, schloss sie wieder, und während die Minuten vergingen, sahen wir mit angehaltenem Atem zu, wie sie zuerst die Arme, dann die Beine bewegte und schließlich die Augen öffnete und mich direkt ansah.
»Wo bin ich?«, fragte sie schwach.
»Im Lazarett«, erwiderte ich und schob ihr eine blonde, strohige Strähne hinters Ohr. »Du hast Malaria, Liebes«, sagte ich, während ich mit den Tränen kämpfte. »Aber jetzt wird’s dir bald wieder gut gehen.«
Mary sah sich im Zimmer um, dann schaute sie erst Kitty und dann mich an. »Ich hatte einen ganz merkwürdigen Traum«, sagte sie. »Ich wollte die ganze Zeit auf ein helles Licht zugehen, aber da war eine Stimme, die mich zurückgerufen hat.«
»Und bist du zurückgegangen?«
»Ich wollte es nicht«, antwortete Mary. »Ich wollte weitergehen, aber die Stimme hat mich bei jedem Schritt gelockt.«
»Es wird alles gut«, sagte ich, hielt ihr ein Glas Was ser an die Lippen und schob ihre kalten Arme unter die Decke zurück. »Wir haben alle Zeit der Welt, um darüber zu reden, aber jetzt brauchst du erst einmal Ruhe.«
Dass wir uns um Mary gekümmert hatten, führte zwar nicht dazu, dass Schwester Hildebrand uns zu unseren pflegerischen Fähigkeiten beglückwünschte, aber sie stellte uns an diesem Tag immerhin vom Dienst frei, und Kitty und ich waren froh, dass wir ausschlafen konnten.
Ich wurde erst von der Mittagssirene geweckt. Mir knurrte der Magen, aber ich war immer noch so erschöpft, dass ich am liebsten im Bett geblieben wäre.
»Kitty?«, sagte ich, ohne
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