Einem Tag mit dir
den Kopf zu heben. »Bist du wach?«
Schlaftrunken drehte ich mich um in der Annahme, dass Kitty tief und fest schlief. Aber die Decke auf ihrem Bett war glatt gezogen, und die beiden Kissen lagen ordent lich am Kopfende.
Wo mochte sie sein? Ich setzte mich auf und streckte mich. Dann entdeckte ich den Zettel auf der Kommode.
Anne,
ich wollte Dich nicht wecken. Ich bin schon um 10 Uhr los, Lance hat mich zu einer Kanufahrt eingeladen. Am Nachmittag bin ich wieder zurück.
Alles Liebe
Kitty
Eine Kanufahrt mit Lance. Es war das Normalste auf der Welt, dennoch war mir nicht wohl bei dem Gedanken. Der freie Tag war uns erst vor ein paar Stunden genehmigt worden, wie konnte sie da etwas mit Lance geplant haben? Ich dachte an die Hütte, und plötzlich wurde mir bewusst, dass unser gemeinsames Schlafzimmer schon jetzt eine Menge Geheimnisse barg.
Die Sirene für das Mittagessen ertönte zum zweiten Mal – der letzte Aufruf. Wenn ich mich beeilte, konnte ich es noch rechtzeitig schaffen. Doch dann brachte mich der glänzende rote Apfel auf meinem Nachttisch auf eine viel bessere Idee.
Ich verstaute den Apfel mitsamt einem Stück Brot, das Kitty aus der Kantine mitgebracht hatte, und einer Feldflasche mit Wasser in meinem Rucksack und schulterte ihn. Als ich mich am Eingang zur Krankenstation vorbei schlich und einen verstohlenen Blick durch das offene Fenster warf, sah ich Stella und Liz und ein paar andere Krankenschwestern bei der Arbeit. Sie wirkten gelangweilt. Einige waren mit einer Glühbirne beschäftigt, die ausgewechselt werden musste, während die anderen sich über den einzigen Patienten beugten, der offenbar nur eine Schürfwunde am Knie hatte und, nach seinem Grinsen zu urteilen, die viele Aufmerksamkeit genoss.
So hatte ich mir das Leben im Krieg nicht vorgestellt. Aber es lag Veränderung in der Luft. Es ging das Gerücht, dass Colonel Donahue einen Einsatz plante, irgendeine größere Sache. Ich fragte mich, welchen Einfluss das auf unsere Arbeit und unser Leben haben würde.
Ich ging den Pfad entlang, der zum Strand führte. Westry hatte behauptet, die Hütte läge nur ein paar hundert Meter nördlich der Militärbasis. Ich konnte nur hoffen, dass er sich nicht irrte.
Ich ging schnell und sah mich häufig um. Was die ande ren wohl denken würden, wenn sie mich von der Militär basis wegschleichen sahen, dazu allein? Es war nicht gerade das, was man von Anne Calloway erwartet hätte.
Schon hinter der nächsten Biegung konnte ich im Dick icht das mit Palmwedeln gedeckte Dach der Hütte aus machen. Beim Näherkommen hörte ich das Geräusch einer Säge.
Mein Herz schlug schneller. Westry war offenbar dort.
»Hallo?«, rief ich und tat, als klopfte ich an die Tür, die vorher wacklig an einem Scharnier gehangen hatte. »Jemand zu Hause?«
Westry blickte auf, wischte sich den Schweiß von der Stirn und den Staub von den Händen. »Oh, hallo«, sagte er. »Sind Sie’s wirklich, oder bilde ich mir das nur ein? Ich bin schon den ganzen Vormittag hier ohne Wasser, und ich weiß nicht, ob ich schon fantasiere oder ob da tatsächlich eine wunderschöne Frau in der Tür steht. Sagen Sie mir bitte, dass meine Augen mich nicht trügen.«
Ich musste lächeln. »Sie fantasieren nicht«, erwiderte ich und holte die Feldflasche aus dem Rucksack. »Hier, trinken Sie.«
Westry trank einen großen Schluck, atmete tief aus und gab mir die Feldflasche zurück. »Die Tür ist schon fast wieder in Ordnung«, sagte er. »Sie passte nicht richtig in den Rahmen, weil sie von der Feuchtigkeit total verzogen war. Ich musste an der Seite ein paar Zentimeter wegnehmen. Hier, sehen Sie? Und in unserem Magazin habe ich ein paar alte Scharniere aufgetrieben.« Er hielt sie hoch wie Trophäen. »Unsere Hütte braucht schließlich eine funktionierende Tür.«
Ich musste lächeln. Unsere Hütte . Was für ein schöner Gedanke.
Ich nahm eine Dose Borax und ein paar alte Putzlumpen aus meinem Rucksack. »Ich dachte mir, ein bisschen Glanz kann der Hütte nicht schaden«, sagte ich.
»Schön, dass Sie Zeit gefunden haben mitzumachen«, sagte Westry und nahm wieder seine Säge.
Um drei Uhr war der Fußboden so blitzsauber, dass man davon hätte essen können, und die Tür saß auch wieder im Rahmen.
»Ach, beinahe hätte ich’s vergessen«, sagte Westry und nahm einen abgegriffenen Messingknauf aus seinem Seesack. »Das dauert nicht lange.«
Ich sah zu, wie er den Knauf sorgfältig anschraubte.
»Unser Schlüssel«,
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