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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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der so heiß war, dass ich die Hitze durch das Leder spürte.
    »Also«, fuhr er fort, »ich werde schon die richtige Frau finden. Irgendwo da draußen.«
    »Und wenn nicht?«, fragte ich.
    »Ich werde sie finden«, sagte er mit einem zuversichtlichen Lächeln.
    Ich wandte mich hastig ab.
    »So«, sagte er, »und jetzt Sie.«
    Ich zupfte an einem losen Faden an meinem Rucksack, bis das Schweigen unerträglich wurde. »Tja, da gibt’s nicht viel zu erzählen.«
    »Ach, kommen Sie«, entgegnete er und lächelte mich aufmunternd an. »Jeder hat eine Geschichte.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin in Seattle geboren. Da habe ich auch immer gelebt. Ich habe eine Krankenschwesternausbildung gemacht, und jetzt bin ich hier.«
    »Bravo«, sagte er mit kaum verhohlenem Spott. »Ein ganzes Leben in drei Sätzen.«
    Ich spürte, wie ich rot anlief. »Tut mir leid«, sagte ich, »mein Leben ist nun mal nicht annähernd so aufregend wie Ihres.«
    »Ich glaube, Sie tun bloß so«, sagte er, während er mich von oben bis unten musterte. »Der Mann, mit dem Sie verlobt sind«, fuhr er fort und zeigte auf den Ring an meiner Hand, »warum haben Sie den nicht geheiratet, bevor Sie hergekommen sind?«
    Wie konnte er es wagen, mir so eine Frage zu stellen? »Weil ich …« Ich musste an all die praktischen Gründe denken: weil ich nichts überstürzen wollte; weil meine Mutter eine große Feier im Hotel Olympic wollte; weil … Aber keiner der Gründe war überzeugend. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich schnurstracks zum Standesamt mar schieren können, so wie Gerard es vorgeschlagen hatte, und heiraten können. Ich hätte Mrs. Gerard Godfrey werden können ohne diese einjährige Odyssee in den Südpazifik, die sich jetzt zu einer Barriere zwischen uns auftürmte. Warum hatte ich es nicht getan?
    »Sehen Sie?«, beharrte Westry. »Es gibt eine Geschichte.«
    »Glauben Sie mir«, erwiderte ich, »Sie fantasieren sich etwas zusammen, wo nichts ist.«
    Westry zwinkerte mir zu. »Das werden wir ja sehen.«
    Kitty war nicht im Zimmer, als ich zurückkam, und so ging ich allein los, als die Sirene zum Essen rief. Ich machte noch einen kurzen Abstecher zum Lazarett, um nach Mary zu sehen. Zu meiner großen Freude saß sie aufrecht im Bett und trank Apfelsinensaft mit einem Strohhalm.
    »Hallo, Anne«, sagte sie. Ihre Stimme klang schon ein bisschen kräftiger.
    »Hallo«, erwiderte ich, »ich bin gerade unterwegs zum Mittagessen. Soll ich dir was mitbringen? Die Flüssignahrung hängt dir doch bestimmt schon zum Hals raus.«
    »Stimmt«, sagte sie. »Ein Brötchen und Butter wären großartig.«
    »Besorg ich dir«, sagte ich lächelnd.
    Auf dem Weg zur Kantine kam ich an dem Hibiskusstrauch vorbei, von dem Kitty und ich uns am ersten Abend Blüten abgepflückt hatten. Ich ging weiter, bis ich die Bootsanlegestelle sehen konnte, an der ein Dutzend Ka nus im Wasser schaukelten für Soldaten, die gerade keinen Dienst hatten. Sie wurden jedoch kaum benutzt, obwohl Bora-Bora nicht im Visier des Feindes lag – noch nicht.
    Als ich genauer hinsah, bemerkte ich zwei Gestalten, die aus einem Kanu stiegen. Die Locken konnten nur zu Kitty gehören, aber der Mann, der ihr aus dem Boot half, war nicht Lance. Mir blieb die Luft weg – es war Colonel Donahue . Kitty lächelte ihn selig an, während er die Paddel im Kanu verstaute. Arm in Arm gingen sie hoch zum Rasen. Der Colonel verabschiedete sich von Kitty, und sie lief zu den Frauenunterkünften.
    Ich überlegte, ob ich ihr folgen sollte, ließ es jedoch bleiben; wahrscheinlich hatte sie mir nicht die Wahrheit über ihre Verabredung gesagt, weil sie fürchtete, ich würde sie missbilligen – und das tat ich tatsächlich. Aber ich wollte nicht den Eindruck erwecken, ich würde ihr nachspionieren. Sie würde mir schon alles erzählen, wenn sie dazu bereit war. Also machte ich mich auf den Weg zur Kantine und bat den Koch, mir ein paar Kleinigkeiten für Mary einzupacken.
    »Und wie geht’s Lance?«, fragte Stella Kitty schelmisch beim Frühstück. Ob sie sie auch mit dem Colonel gesehen hatte?
    »Gut«, erwiderte Kitty und stocherte in ihrem Rührei und der Maisgrütze, beides von gummiartiger Konsistenz. »Wir sind heute Abend verabredet.«
    Stella schüttelte den Kopf, eine Geste, die mich an dem Tag, als wir uns kennenlernten, vielleicht noch auf die Palme gebracht hätte, aber ich hatte schon bald begriffen, dass das einfach ihre Art war. »Du hast vielleicht ein Glück bei Männern«, sagte

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