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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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umsichtiger Art temperamentvoll und spontan war. Warum konnte Gerard nicht ein bisschen freier sein und das Leben mehr genießen? Während ich mit Nadel und Faden hantierte, wurde mir bewusst, dass die Bedenken, die ich schon in Seattle gehabt hatte, sich hier in den Tropen noch verstärkten. Dass er sich vor dem Krieg drückte, machte mir besonders zu schaffen. Warum widersetzte er sich nicht den Wünschen seines Vaters und wählte den ehrenhaften Weg?
    Während ich den ersten Satz Vorhänge an der Gardinenstange befestigte, fiel mir das Bild ein, das sich unter dem Bett befand. Ich hätte gern gewusst, wer die darauf abgebildeten Personen waren, aber vor allem interessierte mich der Künstler.
    Wer mochte hier vor so langer Zeit gewohnt haben? Ein Mann wie Westry, der das Abenteuer suchte? Ich stellte mir vor, wie Westry auf dieser Insel sein Leben verbringen würde. Vielleicht würde er eine Eingeborene heiraten, wie die, die wir mit Lance und Kitty auf dem Markt getroffen hatten. Wie hieß sie noch? Ach ja, Atea. Aber würde er glücklich sein mit ihr? Ich musste grinsen. Ja, auf eine Weise würde er bestimmt glücklich sein, aber ob sie sich auch geistig verstünden? Leidenschaft verging, aber Liebe währte ewig. Ich wünschte nur, dass auch Kitty das endlich einsah.
    Plötzlich wurde es dunkel, und durch die Fensteröffnung sah ich graue, regenschwere Wolken, die bald ihre Wasserlast abladen würden. Ich ließ den Blick über den Strand schweifen in der Hoffnung, Westry auf dem Weg zur Hütte zu sehen, als mir der Briefkasten einfiel oder vielmehr die quietschende Bodendiele in der Ecke des Zimmers. Als ich sie anhob, entdeckte ich einen weißen Briefumschlag.
    Aufgeregt riss ihn auf.
    Liebe Mrs. Cleo Hodge!
    Sie werden sich fragen, wer Mrs. Cleo Hodge ist. Nun ja, meine Liebe, das sind Sie. Wir brauchen Codenamen für den Fall, dass man uns auf die Schliche kommt. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in Kriegszeiten leben. Sie sind also Cleo. Und mein Name wird Grayson sein. Was halten Sie davon? Zuerst hatte ich den Familiennamen Quackenbush in Erwägung gezogen, aber wir würden wahrscheinlich jedes Mal in schallendes Gelächter ausbrechen, wenn wir einander so anredeten. Also werden wir die Hodges sein, wenn Sie keine bessere Idee haben.
    Hochachtungsvoll
    Mr. Hodge
    P. S. Sehen Sie in der Schreibtischschublade nach, da wartet eine Überraschung auf Sie.
    Lächelnd machte ich die Schublade auf, in der eine Apfelsine lag. Ihre glänzende Schale hob sich leuchtend vom dunklen Innern der Schublade aus Mahagoni ab. Ich hielt sie mir unter die Nase und atmete ihren fruchtigen Duft ein. Dann drehte ich den Brief um und schrieb eine Botschaft an Westry.
    Mein lieber Mr. Grayson Hodge!
    Heute habe ich fleißig an den Vorhängen gearbeitet, die hoffentlich zu Ihrer Zufriedenheit ausgefallen sind. Glauben Sie, wir brauchen auch einen Teppich? Einen hübschen Orientteppich vielleicht? Und wie wär’s mit einem Bücherregal und einem Sofa, damit man nicht immer auf dem Bett sitzen muss? Wenn wir Glück haben, wird vielleicht ein Sofa an den Strand gespült.
    Danke für die Apfelsine. Sie war genau richtig.
    Ergebenst
    Mrs. Hodge
    P. S. Sie haben wirklich eine blühende Fantasie. Wie in aller Welt sind Sie auf den Namen »Quackenbush« gekommen? Ich musste in der Tat laut lachen.
    Ich verstaute den Zettel wieder unter der Bodendiele und verließ die Hütte. Mittlerweile war heftiger Wind aufge kommen, und die düsteren Wolken schienen jeden Augen blick aufbrechen zu wollen. Ich eilte den Strand entlang.
    Als ich nicht weit entfernt von der Hütte im Gebüsch oberhalb des Strands etwas rascheln hörte, blieb ich starr vor Schreck stehen. Was war das? War mir etwa jemand gefolgt?
    Ich machte ein paar Schritte auf die Bäume zu und lauschte. Da war es wieder. Rascheln und leise Stimmen. Neugierig ging ich noch ein bisschen näher und suchte Deckung hinter einer mächtigen Palme. Im Dschungel entdeckte ich zwei Gestalten, einen Mann und eine Frau. Als ich den verräterischen Ärmel eines Armeehemds und ein nacktes Frauenbein erspähte, schlich ich auf Zehenspitzen zum Strand zurück und rannte zu den Unterkünften.
    Zu meiner großen Enttäuschung fand ich Kitty nicht in unserem Zimmer vor.

6
    N icht zu glauben, dass wir schon seit zwei Monaten hier sind«, rief Mary aus. Ihre Wangen waren rosig, und es tat gut, sie so strahlend zu sehen. Sie hatte darauf bestanden, dass Schwester Hildebrand sie die Frühschicht machen

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