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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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schaffst es, Will! Du schaffst es!« Sie schmiegte ihre Wange an seine Schulter.
    Mary und ich wischten uns die Augen. Will hatte eine Chance, Gott sei Dank. Aber was war mit Lou und Westry? Und was war mit den anderen Männern? Würden sie auch so viel Glück haben? Würden wir so viel Glück haben?
    Als unsere Schicht um elf Uhr abends endete, konnten wir uns nicht dazu durchringen, das Lazarett zu verlassen. Was, wenn Westry als Nächstes eingeliefert würde und ich wäre nicht da? Aber Schwester Hildebrand ließ nicht zu, dass wir länger blieben. »Sie sind zu erschöpft«, sagte sie. »Sie können nicht mehr zuverlässig arbeiten.«
    Sie hatte recht. Liz hatte vor einer halben Stunde vergessen, einem Patienten seine Medikamente zu verabreichen, und ich hatte Dr. Wheeler falsche Informationen über die Verletzungen eines Sergeants gegeben. Er hätte sich um die Kopfverletzung in Bett neunzehn und nicht um die Beinwunde in Bett sieben kümmern müssen. Neunzehn. Sieben. Dreiundzwanzig. Vier. Die Betten, die Nummern, die Männer – alles verschwamm, und wenn ich die Augen schloss, färbte sich alles blutrot.
    Als ich unsere Unterkunft betrat, fiel mir auf, dass ich die ganze Zeit kein einziges Mal an Kitty gedacht hatte. Hoffentlich ging es ihr gut. Ich rannte die Treppe hoch und stürzte in unser Zimmer. Sie lag schlafend im Bett.
    »Kitty«, flüsterte ich. »Wie geht es dir?«
    Sie drehte sich zu mir um und schaute mich an. »Ganz gut«, antwortete sie. »Und die Männer? Wie läuft’s im Lazarett?«
    »Es geht immer noch alles drunter und drüber«, sagte ich. »Will wurde eingeliefert. Er ist schwer verwundet, aber es sieht so aus, als würde er durchkommen.«
    »Gott sei Dank. Und Westry? Hast du irgendwas von ihm gehört?«
    »Nein, bisher nicht«, sagte ich, während meine Augen sich mit Tränen füllten.
    »Es ist Post für dich gekommen. Ich hab dir den Brief aufs Bett gelegt.«
    »Danke«, sagte ich. »Gute Nacht.«
    Ich nahm den Brief und trat ans Fenster, wo ich ihn im Mondlicht lesen konnte, ohne Kitty zu stören. Ich warf einen Blick auf den Absender. Der Brief kam von Gerard.
    Meine liebe Anne!
    Ich habe lange nichts von Dir gehört, und ich will Dir deswe gen keine Vorwürfe machen, aber gestern hat mich die Angst gepackt. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Natürlich möchte ich es nicht glauben, aber es hat mir das Herz zerrissen. Ist Dir etwas zugestoßen? Bist Du in Sicherheit? Bitte, schreib mir und erzähl mir mehr.
    Ich bin mit der 101. Luftlandedivision in Frankreich, so weit fort von der Heimat, so weit fort von Dir. Die Bedingungen hier sind hart, wie überall. Überall um mich herum fallen die Kameraden. Ich habe die Karte bei mir, die Du für mich gebastelt hast, die mit dem kleinen roten Herzen in der Mitte. Sie steckt immer in meiner Brusttasche. Ich glaube, sie bringt mir Glück. Ich werde zu Dir zurückkehren, Anne, das verspreche ich Dir.
    In Liebe
    Dein Gerard
    Weinend schob ich den Brief zurück in den Umschlag, dann nahm ich mein Briefpapier aus der Nachttischschublade, hellblau, mit meinen Initialen in der oberen rechten Ecke: AEC . Anne Elizabeth Calloway. Ich hatte vorgehabt, viele Briefe nach Hause zu schreiben, an meine Mutter, meinen Vater, an Maxine und vor allem an Gerard, aber ich hatte noch fast nichts von dem Briefpapier verbraucht und schämte mich dafür, dass ich Gerard so selten geschrieben hatte. Ich setzte mich hin und begann zu schreiben, auch wenn ich eigentlich gar nicht so recht wusste, was ich ihm erzählen sollte.
    Lieber Gerard!
    Bitte mach Dir keine Sorgen, es geht mir gut, und ich bin hier in Sicherheit. Die Post braucht immer sehr lange, und ich habe Deinen Brief leider erst jetzt erhalten.
    Ich hielt inne. Das war eine Lüge. Eine himmelschreiende Lüge.
    Wir sind hier alle voll im Einsatz, deswegen habe ich auch bisher so wenig geschrieben. Wenn wir nicht schlafen, arbeiten wir, und wenn wir nicht arbeiten, schlafen wir.
    Noch eine Lüge.
    Ich denke oft an Dich, und Du fehlst mir sehr.
    In Liebe
    Deine Anne.
    »Ich habe eine Idee, wie wir uns die Zeit vertreiben können«, verkündete Stella eines Morgens Anfang Mai in der Kantine.
    »Ach ja?«, sagte Mary und tat so, als interessierte sie sich dafür.
    »Wir gründen ein Strickkränzchen«, sagte Stella.
    »Du hast gut reden«, entgegnete Mary. »Dein Will ist hier und auf dem Weg der Besserung, während wir nicht wissen, was mit unseren Liebsten ist. Glaubst du

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